Ringwelt 08: Der kälteste Ort
ohne Absicht auf »zufällig«. In einem Universum, das so groß ist wie das unsrige, passiert nämlich irgendwann einmal alles, was passieren kann, und sei es durch Zufall. Nehmen Sie zum Beispiel die Begegnung – nein, dazu kommen wir später.
Louis Wu war hundertachtzig Jahre alt, doch da er regelmäßig Boosterspice konsumierte, sah man ihm die Jahre nicht an. Wenn es ihm nicht zu langweilig würde und ihm nichts Schlimmes widerführe, könnte er leicht die Tausend erreichen.
»Aber nicht«, sagte er manchmal zu sich selbst, »wenn ich noch eine einzige Cocktailparty ertragen muß oder diese Bandersnatcher-Jagden oder die angemalten Flatlander, die in einem Freipark herumlaufen, der zehnmal zu klein für sie ist. Nicht, wenn ich noch einmal so eine Zwölf-Stunden-Liebe oder eine Zwanzig-Jahre-Ehe erleben muß, oder wenn ich zwanzig Minuten warten muß, um eine Transferkabine benutzen zu können, die genau dann ihren Geist aufgibt, wenn ich an der Reihe bin. Und dann die Leute. Ich kann nicht all diese endlosen Jahrhunderte Tag und Nacht mit Leuten Zusammensein.«
Wenn er sich so fühlte, war es Zeit für ihn zu verschwinden. Dreimal in seinem Leben hatte ihn bereits dieses Gefühl überkommen, nun war es das vierte Mal. Wahrscheinlich würde es immer wieder geschehen. In diesem Zustand akuter Abneigung gegen alles und jedes stand er nur allen im Wege, vornehmlich seinen Freunden und ganz besonders sich selbst. Er ging also weg. In einem kleinen, aber angemessenen Raumschiff, das ihm selbst gehörte, verließ er alles und jeden, machte sich auf zum Rand des Universums, um erst wieder zurückzukehren, wenn der Durst nach dem Anblick eines menschlichen Gesichts, nach dem Klang einer menschlichen Stimme unerträglich würde.
Auf seinem zweiten Trip hatte er die Zähne gebleckt und gewartet, bis er süchtig war nach dem Anblick eines Kzinti-Gesichts.
Das ist eine lange Reise gewesen, erinnerte er sich. Und weil er nun auf seiner vierten Reise erst seit dreieinhalb Monaten unterwegs war und dennoch seine Zähne schon beim bloßen Gedanken an eine menschliche Stimme klapperten, sagte er sich: »Ich glaube, diesmal werde ich abwarten, bis ich es nicht mehr ohne einen Kdatlyno aushalte. Einen weiblichen natürlich.«
Nur wenige seiner Freunde konnten erraten, wie viel Kummer und Tränen ihm diese Reisen ersparten – nicht nur ihm: auch ihnen. Er verbrachte die Monate mit Lesen und ließ sich in der Bibliothek mit orchestraler Musik berieseln. Inzwischen hatte er den Bekannten Raum ein gutes Stück hinter sich gelassen.
Nun vollzog er eine Neunzig-Grad-Wende und schwenkte ein in eine weite Kreisbahn mit Sol im Zentrum.
Er näherte sich einem bestimmten G3-Stern. In sicherem Abstand von der Hyperraum-Singularität, die sich im Umkreis jeder größeren Massenansammlung befindet, verließ er den Hyperraum. Sein Haupttriebwerk schob das Schiff in das Planetensystem, und zugleich tastete Louis den vorausliegenden Raum mit dem Tiefenradar ab. Er suchte nicht nach bewohnbaren Planeten. Er suchte nach den Stasisboxen der Slaver.
Wenn er kein Echo mehr empfinge, würde er sofort beschleunigen, bis er wieder in den Hyperraum eintreten könnte. Er würde die Geschwindigkeit halten und dazu nutzen, das nächste Sonnensystem zu durchlaufen, welches er absuchen würde, und dann noch eins und immer weiter. So sparte er Treibstoff.
Noch nie hatte er bisher eine Slaver-Stasisbox gefunden, doch das hielt ihn nicht davon ab weiterzusuchen.
Er streifte durch das System, und das Tiefenradar zeigte ihm die Planeten wie fahle Geister, hellgraue, runde Flecke auf dem weißen Bildschirm. Die G3-Sonne war eine große graue Scheibe mit einem fast vollkommen schwarzen Fleck in der Mitte. Der Fleck war degenerierte Materie, die so sehr komprimiert war, daß bereits die Elektronenorbits sämtlicher Atome zusammengebrochen waren.
Er hatte die Sonne schon hinter sich und beschleunigte noch immer, als auf dem Bildschirm ein kleiner schwarzer Punkt erschien.
»Kein System ist perfekt, wie man sieht«, murmelte er, als er den Antrieb abstellte. Dort draußen, wo niemand ihn unterbrechen konnte, sprach er gern und viel mit sich selbst.
»Eigentlich sollte ich auf diese Weise Treibstoff sparen«, sagte er sich eine Woche später. Zu diesem Zeitpunkt war er schon außerhalb der Singularität im freien Raum. Er trat in den Hyperraum ein, umrundete das System zur Hälfte und verringerte dann seine Beschleunigung. Allmählich verlor er die
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