Ringwelt 08: Der kälteste Ort
auf der Seite, die dem Wind zugewandt war … am Anfang des Halbrunds … dort.
»Ich habe ihn angekratzt, Chris. Hier ist ein Kratzer. Man braucht also tatsächlich – huch. Aaah! Chris, zur Hölle mit dir! Nur der Tod kann dich vor meinem Zorn retten!«
»Warum bist du so wütend über …«
»Mein Diamant! Er ist hinüber!«
»Beruhige dich. Ein einziger Stein aus dem Brunnen ist millionenmal mehr wert.«
»Tatsächlich, du hast recht. Aber wir werden Laser brauchen, um den Stein herauszuschneiden. Sie müssen Diamantenstaub als Mörtel verwendet haben. Und der Treibstoff, um die Dinger zurückbringen …«
»Harry, tu mir einen Gefallen. Bring …«
»Der letzte Gefallen hat mich einen Dreitausend-Dollar-Ring gekostet.«
»Bring das Marsmobil hierher. Ich möchte ein wenig graben.«
»Bin gleich da.«
Eine Minute später hielt die Maschine neben Chris’ grünem Raumanzug an, und das Lächeln in Henrys Zügen bewies, daß die Kratzer am Ring seiner Psyche keinen dauerhaften Schaden zugefügt hatten. »Wo graben wir?«
»Genau hier, wo ich stehe.«
Um steile Hindernisse überwinden zu können, war das Marsmobil mit zwei Druckluft-Rückstoßdüsen ausgestattet. In einem großen Tank an der Unterseite des Fahrzeuges befand sich die Druckluft, die der dünnen Marsatmosphäre entnommen und mit Hilfe des Motors verdichtet wurde. Henry schaltete die Triebwerke ein und schwebte über die Stelle, an der Chris stand, indem er das Gewicht verlagerte. Sand wirbelte in dichten Wolken auf. Während Chris eilends die Flucht ergriff, verdoppelte Henry grinsend den Druck, so daß die feinen Sandkörner Chris über und über berieselten. Eine halbe Minute später ließ der Druck nach, und Henry mußte lachen. Das Marsmobil bebte und zitterte unter den Bemühungen des Motors, die Druckkammer wieder aufzufüllen.
»Ich stelle dir die Frage nur ungern«, sagte Henry, »aber was hat das alles zu bedeuten?«
»Dort unten liegt irgendein fester Gegenstand. Ich möchte ihn freilegen.«
»Na gut, wenn du sicher bist, daß wir uns an der richtigen Stelle befinden. Wir müssen uns schließlich sechs Monate um die Ohren schlagen.«
Schweigend brachten sie die folgenden Minuten damit zu, das Marsmobil zu beobachten, während es seine Druckkammer füllte.
»He«, unterbrach Henry das Schweigen. »Glaubst du, daß wir auf diese Diamanten Anspruch erheben können?«
Chris Luden, der am steilen Hang der Düne saß, kratzte sich nachdenklich am Helm. »Warum nicht? Uns sind bisher keine lebenden Marsbewohner begegnet, und es steht fest, daß niemand außer uns einen Anspruch angemeldet hat. Klar, wir reichen unser Gesuch ein; schlimmstenfalls lehnen sie unseren Antrag ab.«
»Noch etwas. Ich habe bislang kein Wort darüber verloren, weil ich wollte, daß du es mit eigenen Augen siehst, aber zum Teufel damit. Einer der Quader ist über und über mit tiefen Kratzern bedeckt.«
»Das sind sie alle.«
»Nicht so wie dieser. Es sind tiefe Linien, und wenn mir meine Fantasie keinen Streich spielt, stehen sie alle in einem Winkel von fünfundvierzig Grad zueinander. Sie sind zu dünn, deshalb kann ich es nicht mit Sicherheit entscheiden, aber ich glaube, daß es sich um etwas Ähnliches wie Schriftzeichen handelt.«
Unmittelbar bestätigte Henry die Druckluftdüsen, ohne eine Antwort abzuwarten. Er war ein Meister darin. Wie ein Ballettänzer bewegte er sich. Henry verlagerte immer wieder das Gewicht, doch das Fahrzeug bewegte sich nicht von der Stelle.
Etwas erschien inmitten des Sandes. Es war kein Felsen.
Ein Ding, das aussah wie eine moderne Stahlplastik – ohne Sinn und Bedeutung, und doch von einer eigenartigen Schönheit erfüllt. Etwas, das einmal eine Maschine gewesen und jetzt – nicht mehr war.
Henry Bedrosian schwebte über dem trichterförmigen Loch, das seine Düsen gegraben hatten. Der Gegenstand war jetzt fast vollständig zu erkennen. Daneben tauchte noch etwas anderes auf.
Eine Mumie.
Mit dem letzten bißchen Druckluft landete das Marsmobil weich im Sand. Als Henry abstieg, ließ Chris sich in die Grube hinuntergleiten.
Die Mumie war humanoid, etwa 1,30 Meter groß, mit langen Armen, langen, spitz zulaufenden, zerbrechlichen Fingern und einem vergleichsweise viel zu großen Schädel. Einzelheiten waren nicht erkennbar; die Zeit hatte alles verwischt. Chris konnte nicht einmal mit Sicherheit sagen, wie viele Finger der – Humanoid – gehabt hatte. An einer Hand waren noch zwei vorhanden, an der anderen
Weitere Kostenlose Bücher