Ringwelt 08: Der kälteste Ort
schlimmsten Fall konnte man ihn als lästig bezeichnen. Das hohe, kaum hörbare Wimmern zerrte an den Nerven der Männer, und die Dunkelheit machte das Einschalten der Straßenlaternen notwendig. Morgen würde die Blase von einer millimeterdicken, mondtrockenen Schlammschicht überzogen sein. Im Inneren der Blase würde es dann dunkler sein als in der Nacht, bis jemand den Schlammstaub mit Hilfe eines O-Tanks fortblies.
Auf Shute wirkte der Sandsturm deprimierend. Hier auf dem Mars stand Generalmajor Shute, der jugendliche Held, an den Grenzen der menschlichen Forschung furchtbaren Gefahren gegenüber! Ein Sandsturm, der nicht einmal einem Baby etwas zuleide getan hätte. Kein Mensch wurde hier mit Gefahren konfrontiert, die er nicht selbst mitgebracht hatte.
Würde es ewig so weitergehen? Daß die Menschen ungeheure Entfernungen zurücklegten, nur um sich selbst ins Gesicht zu sehen?
An diesem Tag war seit dem Mittag nicht mehr viel getan worden. Shute hatte den Versuch aufgegeben. Timmy saß auf einem Stapel von Schaumstoffwänden. Er belagerte im wahrsten Sinne des Wortes das Funkgerät, während er seinerseits abwechselnd von den verschiedenen Bewohnern der Stadt belagert wurde.
Timmy erhob sich, als Shute zu der Gruppe trat. »Sie sind weg«, sagte er, und seine Stimme klang sehr müde. Er schaltete das Funkgerät ab. Die Männer warfen einander vielsagende Blicke zu, und einige erhoben sich.
»Tim! Wie haben Sie die Verbindung zu ihnen verloren?«
Timmy sah ihn an. »Sie sind zu weit weg, Bürgermeister.«
»Sie sind nicht umgekehrt?«
»Nein. Sie fahren einfach immer weiter in die Wüste hinaus. Alf muß den Verstand verloren haben. Carter ist es nicht wert, daß man seinetwegen das Leben opfert.«
Shute dachte: »Aber früher einmal war er es.« Carter war einer der besten Männer gewesen: stark, mutig, klug und begeisterungsfähig. Shute hatte zusehen müssen, wie sich Carters Charakter unter dem Einfluß der Langeweile und der Enge der Schiffsquartiere zum Schlechten veränderte. Er hatte sich scheinbar gefangen, als sie den Mars erreichten und plötzlich alle etwas zu tun bekamen. Dann, gestern Morgen – Mord.
Alf. Alf zu verlieren war schlimm. Lews Verlust war leicht zu verschmerzen, aber Alf …
Cousins gesellte sich zu ihm. »Ich habe die Sache mit dem Rotstift erledigt.«
»Danke, Lee. Wir werden den Bericht jetzt neu schreiben müssen.«
»Tun Sie das nicht. Schreiben Sie eine Ergänzung. Erklären Sie, wie und warum drei Männer sterben mußten. Dann können Sie sagen: ›Das habe ich Ihnen gleich gesagt.‹«
»Glauben Sie?«
»Mein Urteil als Fachmann. Wann ist die Beerdigung?«
»Übermorgen. Also am Sonntag. Ich dachte, das wäre dem Anlaß angemessen.«
»Dann können Sie die drei Trauerfeiern gleichzeitig abhalten. Gut geplant.«
Für die Bewohner der Blasenstadt waren Jack Carter und Alf Harness tot. Aber noch atmeten sie …
Die Berge rückten näher: die einzigen festen Punkte in einem Meer von Sand. Alf hatte leicht aufgeholt, er war nur noch etwas weniger als vierhundert Meter zurück. Um 17 Uhr erreichte Carter den Fuß des Gebirges. Die Gesteinsmassen waren zu hoch, als daß er sie mit Hilfe der Druckluftdüsen hätte überspringen können. Er sah Stellen, an denen er den Buggy hätte landen können, während sich die Druckkammern für den nächsten Sprung auffüllten. Aber wozu?
Es war besser, auf Alf zu warten.
Plötzlich erkannte Carter, daß Alf genau darauf wartete. Seinen Buggy an Carters Seite zu ziehen. Carters Gesicht zu beobachten, bis Alf ganz sicher war, daß sein Gegner das eigene Schicksal genau kannte. Und dann würde er aus drei Metern Entfernung auf Carter schießen und zusehen, wie sich die grelle Magnesiumoxid-Flamme durch seinen Anzug und seine Haut bis in sein Innerstes durchfraß.
Die Berge waren vergleichsweise niedrig und flach. Selbst aus der Nähe betrachtet, hätte es ebenso gut die glatte Flanke eines schlafenden Tieres sein können – nur, daß dieses Tier nicht atmete. Carter holte tief Atem und stellte fest, daß die Atemluft trotz des Luftreinigers schal geworden war. Er schaltete die Druckluftdüsen ein.
Die Atmosphäre auf dem Mars ist furchtbar dünn, aber man kann sie komprimieren; und ein Düsenantrieb, selbst wenn er mit Druckluft betrieben wird, funktioniert überall. Carter erhob sich in die Luft. Er lehnte sich in der Kabine so weit wie möglich nach hinten, um den Gewichtsverlust in den O-Tanks auszugleichen, damit
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