Ringwelt 08: Der kälteste Ort
ich bin angeschnallt.«
»Okay.«
Ich wußte, warum er so empfindlich reagierte. Ich war genauso enttäuscht. Wir hatten vier Monate dazu gebraucht, die Venus zu erreichen, um sie dann eine Woche lang zu umrunden und keine zwei Tage in der oberen Schicht der Atmosphäre zu verbringen. Das schien mir eine schreckliche Zeitverschwendung zu sein.
Doch Eric brauchte eine verdammt lange Zeit zum Starten. »Was ist denn los, Eric?«
»Du solltest lieber nicht danach fragen.«
Diesmal war das sein Ernst. Seine Stimme klang mechanisch, unmenschlich, monoton. Er strengte sich nicht mehr an, aus seiner Artikulations-Prothese einen menschlichen Ausdruck herauszuquetschen. Nur ein schwerer Schock konnte ihn so beeinflussen.
»Ich kann die Wahrheit vertragen«, sagte ich.
»Okay. Ich fühle nichts mehr in den Ramjet-Leitungen. Mir ist so, als hätte ich eine Querschnittslähmung.«
Die ganze Kälte in der Kabine kroch in mich hinein. »Schau mal zu, ob du ein paar Impulse in die entgegengesetzte Richtung schicken kannst. Du könntest die Ramjets ja auch nach Erfahrung und Intuition steuern, ohne sie zu fühlen.«
»Okay.« Eine Sekunde später: »Es geht nicht. Alles tot. Trotzdem ein guter Einfall von dir.«
Ich versuchte, eine passende Antwort darauf zu finden, während ich das Netz wieder vom Liegesitz löste. »Es war ein Vergnügen, dich kennen zu lernen«, stieß ich dann heraus. »Ich habe gern als dein Partner in diesem Team gearbeitet, Eric, und ich tue es noch immer mit der gleichen Freude …«
»Weinen kannst du später immer noch. Jetzt wirst du erst einmal sorgfältig meine Anschlüsse kontrollieren, okay?«
Ich verdrängte meine pathetische Anwandlung und öffnete die Luke in der Vorderwand der Kabine. Der Boden schwankte leise unter meinen Füßen.
Hinter der Luke, die ein Mann nur in geduckter Haltung durchschreiten konnte, befand sich Eric. Sein zentrales Nervensystem und sein Gehirn lagen ganz oben, und darunter war das Rückenmark in einer lockeren Spirale aufgerollt, damit es besser in dem Glas- und Schaumplastikgehäuse untergebracht werden konnte. Hunderte von Drähten liefen hier von den verschiedenen Schiffssystemen an den Glaswänden des Behälters zusammen, wo sie an ganz bestimmte Nervenenden angeschlossen waren, die sich wie ein elektrisches Versorgungsnetz aus der Zentralspirale verästelten, die aus Nervengewebe und einer fettigen Schutzhülle bestand.
Im Weltraum kann ein Krüppel sich nicht behaupten. Und ich nenne Eric auch nicht so, weil er diesen Ausdruck nicht leiden kann.
In gewisser Hinsicht ist er der ideale Astronaut. Denn sein Lebenserhaltungssystem ist zwölfmal kleiner als meines und wiegt zudem nur die Hälfte. Doch seine Prothesen füllen fast das ganze Schiff aus. Die Ramjets sind an den untersten Nervenästen angeschlossen – an jenen Nerven, mit denen er einmal seine Beine bewegt hat. Dutzende von Nervenfibern in diesen Nervenästen spürten und regulierten die Brennstoffzufuhr, die Triebwerkstemperatur, die Differential-Beschleunigung, die Ansaugdüsenöffnung und den Zündimpuls.
Diese Anschlüsse waren in Ordnung. Ich überprüfte sie auf vier verschiedene Arten und hatte damit die Möglichkeit eines Versagens ausgeschlossen.
»Dann prüfe die anderen«, sagte Eric.
Ich brauchte mehr als zwei Stunden dazu, um jeden Hauptnervenstrang zu testen. Sie waren alle in Ordnung. Die Blutpumpe arbeitete einwandfrei, und die chemische Zusammensetzung stimmte haargenau, so daß auch meine vage Vermutung widerlegt war, daß die Ramjet-Nerven aus Mangel an Nahrung oder Sauerstoff vielleicht ›eingeschlafen‹ waren. Da auch das Laboratorium zu Erics Nervenprothesen gehört, überließ ich ihm die Analyse seines Blutzuckerspiegels selbst. Aber seine ›Leber‹ hatte nicht verrückt gespielt und baute genau die richtige Menge an Glykogen ab. Die Ergebnisse waren erschreckend. Eric fehlte nicht das geringste – zumindest nicht seinen biologischen Komponenten, die sich innerhalb der Kabine befanden.
»Eric, du bist gesünder als ich.«
»Das sehe ich. Du siehst blaß aus, und ich kann dir das nicht übel nehmen. Denn jetzt mußt du die Außenbordkontrolle durchführen.«
»Ich weiß. Dann wollen wir mal den Anzug herausholen.«
Der Venus-Anzug befand sich im Notfallspind und sollte eigentlich gar nicht zum Gebrauch kommen. Die NASA hatte ihn ursprünglich für den Einsatz auf der Venusoberfläche konstruiert. Dann hatte sie sich geweigert, das Schiff näher als
Weitere Kostenlose Bücher