Ringwelt 08: Der kälteste Ort
ein Stichwort schlug das Mädchen mit dem Mantel einem der gefiederten Männer mit der Hand ins Gesicht. Sie versuchte, auch den anderen zu ohrfeigen, aber er packte sie am Handgelenk. Dann erstarrten alle drei.
Ich sagte: »Seht ihr? Keiner hat etwas davon. Sie mag es nicht einmal, stehen zu bleiben. Sie …«, und da wurde mir klar, warum sie sich nicht bewegten.
In einem Freipark ist es einfach für ein Mädchen, ein Angebot abzulehnen. Wenn der Typ trotzdem zudringlich wird, bekommt er eine Ohrfeige. Der Betäubungsstrahl erwischt ihn und das Mädchen. Wenn sie aufwacht, geht sie einfach weg. So einfach ist das.
Das Mädchen begriff zuerst, was los war. Sie schnappte nach Luft, riß sich los und wandte sich zur Flucht. Einer der Gefiederten versuchte gar nicht erst, ihr nachzulaufen; er packte einfach mit beiden Händen nach ihrem Mantel.
Die Sache wurde langsam ernst.
Der Mann riß sie hart nach hinten. Sie zögerte keinen Moment, griff nach den großen goldenen Scheiben an ihren Schultern, riß sie los und rannte weiter.
Die Vogelmänner jagten ihr lachend nach. Dem Rotschopf war nicht nach Lachen zumute. Sie rannte mit aller Kraft. Zwei Blutstropfen liefen ihr die Schulter hinunter. Ich fragte mich, ob ich nicht die gefiederten Männer aufhalten sollte, rang mich schließlich zu dem Entschluß durch – aber da waren sie schon zu weit weg.
Jill verschränkte beklommen die Arme. »Ron, woher kriegen wir jetzt eine private Schutztruppe?«
»Na ja, du kannst nicht erwarten, daß sich so etwas spontan bildet …«
»Versuchen wir es mal mit dem Ausgang. Vielleicht können wir doch hinaus.«
Es dauerte seine Zeit. Jedermann wußte, was ein Monitor tat. Niemand dachte weiter darüber nach. Zwei gefiederte Männer, die einem hübschen nackten Mädchen nachjagten? Ein schöner Anblick, und warum sich einmischen? Wenn sie nicht wollte, daß man ihr nachjagte, dann brauchte sie nur … ja, was? Aber sonst hatte sich nichts geändert. Die Kostüme, die Leute, die ein Anliegen hatten, die Leute, die nach einem Anliegen suchten, die Leute, die Leuten zusahen, und die Scherzbolde …
Der Mann mit dem leeren Schild hatte sich zu den POPULATION-DURCH-KOPULATION-Leuten gesellt. Seine befleckte rosa Straßentunika stand in seltsamem Gegensatz zu ihren konservativen Anzügen, aber er zeigte kein Zeichen von Spott; sein Gesicht war ebenso unnatürlich ernst wie die ihren. Nichtsdestotrotz schien ihnen seine Gesellschaft nicht ganz recht zu sein.
Vor dem Wiltshire-Ausgang stauten sich die Leute. Ich sah genug verstörte und enttäuschte Gesichter, um den Schluß zu ziehen, daß die Tore geschlossen waren. Der kleine Vorplatz war so voll, daß wir nicht einmal den Versuch machten herauszufinden, was mit den Ausgängen nicht in Ordnung war.
»Ich glaube, wir sollten besser nicht hier bleiben«, meinte Jill unbehaglich.
Mir fiel auf, wie sie die Arme um den Oberkörper schlang. »Ist dir kalt?«
»Nein.« Sie zitterte. »Aber ich wünschte, ich hätte etwas zum Anziehen.«
»Wie wäre es mit einem Stück von dem Mantel, den wir eben gesehen haben?«
»Gut!«
Wir kamen zu spät. Der Mantel war fort.
Es war ein warmer Septemberabend. Obwohl ich nur Papiershorts trug, war mir keineswegs kalt. Ich sagte: »Nimm meine Shorts.«
»Nein, Schatz, ich bin doch schließlich der Nudist hier.« Aber Jill hielt sich mit beiden Armen umklammert.
»Hier«, sagte Ron und reichte ihr seinen Pullover. Sie warf ihm einen dankbaren Blick zu, dann wickelte sie sich in offensichtlicher Verlegenheit den Pullover um die Hüften und verknotete die Ärmel.
Ron begriff es immer noch nicht. Ich fragte ihn: »Kennst du den Unterschied zwischen Nudismus und Nacktheit?«
Er schüttelte den Kopf.
»Nudismus ist eine Lebenseinstellung. Nacktheit ist ein Zeichen von Schutzlosigkeit.«
Nudismus war populär im Freipark. Nacktheit war es in jener Nacht nicht. Stücke des Mantels müssen über den ganzen King’s-Freipark verstreut gewesen sein.
Ich sah mindestens vier Stücke in jener Nacht: eins als Kilt, zwei als improvisierte Sarongs und eins als Bandage.
An einem normalen Tag schließen die Eingänge zum King’s-Freipark um sechs. Diejenigen, die bleiben wollen, bleiben, solange sie mögen. Gewöhnlich sind es nicht viele; es gibt keine Beleuchtung in einem Freipark, aber es dringt etwas Licht von der nahe gelegenen Stadt herüber. Die Monitore schweben umher, von Infrarot geleitet, aber die meisten von ihnen sind nicht
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