Ringwelt 10: Hüter der Ringwelt
muss zehntausende von Falans überlebt haben. Hanuman, hätten wir unsere Raubtiere freisetzen sollen?«
»Nein.«
»Aber diese hier, die früher einmal genauso ausgesehen haben wie wir, haben inzwischen jede ökologische Nische ausgefüllt, die wir nicht haben übernehmen können.« Scharf schaute sie Hanuman an. Beinahe gelang es ihr, seinen Mutantengeruch zu ignorieren. »Ich verstehe, was du meinst. Nicht nur Aasfresser wie der hier, sondern auch Schwingkletterer wie du. Mutationen und Evolution sind etwas Gutes, aber nur, wenn man es jetzt aufhalten kann, immer gerade jetzt, damit die eigene Art sich nicht verändern muss.«
Hanuman antwortete ihr nicht. Sie sprach nur das Offensichtliche aus.
Doch nun ergriff Tonschmied das Wort. »Dein Volk, die ursprünglichen Pak: Sie haben nicht überlebt. Dafür gibt es Mutationen und Evolution, Proserpina. Etwas, das dir sehr ähnlich ist, hat sich so weit verbreitet, dass daraus jetzt mehrere Billionen geworden sind. Gefallen dir einige von uns nicht? Wann haben dir denn jemals alle deine Nachbarn gefallen?«
Er stand auf einem Stuhl, an einem Ausleger, der nur ein Stück weit über ihrem Kopf hing. Hätte er es gewollt, hätte er sie augenblicklich töten können. Zu schlau, zu schnell.
»Ich schlage eine Wette vor«, sagte Proserpina. »Fünfzig-fünfzig, dass wir in neunzehn Falans tot sind, wenn ich diese Muster hier richtig lese. Du hast dich schon länger damit befasst. Hallo, Tonschmied.«
Tonschmied sprang zu ihnen herab. »Hallo, Proserpina, verehrte Ahnherrin! Sind deine Gäste in Sicherheit?«
»Ich halte das hier für wichtiger als ihre Sicherheit. Du hast dich an unserer grundlegenden Natur zu schaffen gemacht!«
»Ja. Aber nicht schnell genug. Ich brauche jede Hilfe, die ich bekommen kann.«
»Was hast du alles verändert? Und welche Veränderungen hast du noch vor?«
»Was hättest du angesichts des Randzonenkriegs zu unternehmen beabsichtigt?«
»Ich hätte vielleicht versucht … hast du eine Möglichkeit für mich, Bilder zu machen?«
Tonschmied ließ seinen Sessel in die Nähe der geschwungenen Wand hinüberschweben. Jetzt war das Sternen-Display verschwunden, die Wand glomm tiefblau. Tonschmied vollführte eine Handbewegung vor der Wand: Weiße Linien erschienen.
Proserpina sprang zu einem der anderen Sessel hinüber. Mit ihren Bewegungen erweckte sie diese Linien zum Leben. Die Sonne. Die Schattenblenden. Die Ringwelt. Zuerst waren es weiße Linien, gerade und geschwungen, dann wurden es fotorealistische Bilder. Proserpina bewegte die Arme wie eine Dirigentin. Jetzt waren Details an der Sonne zu erkennen: die Magnetfelder in ihrem Inneren. Die Felder veränderten sich: Sie wurden gestaucht. Der magnetische Südpol der Sonne schien zu gerinnen, wurde aufgewühlt, dann versprühte er Licht.
»Ich hätte es vielleicht auf diese Art und Weise versucht«, erklärte sie dann. »Als wir die Ringwelt gebaut haben, wurde ein Gitternetzwerk aus Supraleitern in ihr Fundament eingewirkt. Damit können wir Magnetfelder beeinflussen.« Jetzt spie der Südpol eine Flamme aus: Die Farben verrieten, dass Unmengen von Röntgenstrahlung freigesetzt wurden. Langsam bewegte sich die Sonne gen Norden und ließ die Ringwelt immer weiter hinter sich. Dann zog ihr Schwerefeld den Ring wieder an sich – blasse Linien an der blauen Wand, und die Ringwelt folgte der Bewegung ihres Muttersterns.
»Wir nutzen die Sonne für den Schub – mehrere Meter pro Sekundenquadrat, wenn man die Maße zugrunde legt, die beim Interspeak üblich sind. Weiterhin …« Jetzt erschienen Stromlinien. Die Ringwelt bewegte sich allein weiter, die Sonne blieb zurück. »Der Fluss der interstellaren Materie durch den Körper der Ringwelt kann so zu ihrer Achse umgeleitet werden, dass dabei Fusionsprozesse angeregt werden. Die Flamme der Sonne liefert weiteren Treibstoff. Auf diese Weise ersetzen dann die Fusions-›Abgase‹, die durch Magnetfelder gebündelt werden, die Sonne, liefern der Ringwelt Licht und dienen zugleich als eine Art Ramjet. Die Ringwelt kann überleben. Wir können weiter beschleunigen.«
»Nachteile?«
»Das Abbremsen dürfte schwierig werden, aber nicht unmöglich. Man kann die Felder so verändern, dass sie den Schub ausgleichen. Aber die Gezeiten würden sich dadurch verändern.«
Tonschmied wartete ab.
»Wenn wir erst einmal wieder zum Stillstand kämen, gäbe es keine Sonne mehr.« Proserpina zuckte mit den Schultern; das Bild verschwamm. »Das ist
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