Ringwelt 11: Die Flotte der Puppenspieler
einmal echte, unmittelbare Gefahr drang jetzt noch zu ihm vor. Gab es irgendeine Möglichkeit, ihn zu einer Entscheidung zu bringen? Kirsten dachte daran, wie sonderbar Nessus immer dann den Tonfall änderte, wenn er Nike erwähnte, und so wagte sie sich an eine andere Herangehensweise: »Angenommen, wir würden tatsächlich in den Orbit einschwenken. Die Explorer istin ausgezeichnetem Zustand – sie wurde ja gerade erst überholt. Wird Nike Ihnen dann immer noch Ihre eigene neue Mission zutrauen?«
Der Kopf, der sich schon fast zwischen den Vorderbeinen verborgen hatte, schnellte empor und starrte Kirsten an. »Würdest du es wirklich nicht verraten?«
»Ich versprech’s Ihnen«, erwiderte Kirsten. »Ich nehme an, für die Kommunikation mit der Verkehrsleitstelle reichen Textbotschaften und Datentransfers aus.«
»Ja.« Wieder verfiel Nessus in Schweigen, bis sich der nächste Anfall ein wenig legte. »Ich zeige dir die Nachrichtenprotokolle.«
Kirsten ließ sich auf die Pilotenliege sinken. »Ich muss mich mit Ihrer Identität einloggen.«
»Stimmt.« Er kroch näher. Mit zitternder Stimme – hin und wieder war es so schlimm, dass er überhaupt nicht mehr zu verstehen war – erklärte er Kirsten das weitere Vorgehen. Und dann, nachdem alles Wichtige erläutert und Nessus den Korridor hinabgestürmt war, um sich endlich in seiner Kabine zu verstecken, musste Kirsten gegen zwei Emotionen gleichzeitig ankämpfen. Die eine davon war Mitleid mit ihrem so arg geplagten Schiffskameraden. Man mochte über Nessus denken, was man wollte, aber er hatte ihnen dreien jetzt gerade ungeahnte Möglichkeiten verschafft. Die zweite Emotion war … das unbändige Bedürfnis, einen Freudenschrei auszustoßen.
Mit dröhnendem Rumpf sank die Explorer durch die äußersten Atmosphärenschichten von NSW 4. Schon bald würden sie aufsetzen, und dann würde sehr wahrscheinlich auch Nessus wieder aus seiner Kabine kommen.
Kirsten starrte das Sekundär-Display der Brücke an. Sämtliche Geschichtsdaten über die Präkolonialzeit von NSW 4 waren fort. Kirsten konnte sich genau vorstellen, mit welch diebischer Freude Baedeker Informationen gelöscht hatte, die einzig für Nessus bestimmt waren.
Weder Zorn noch Verzweiflung halfen ihr jetzt weiter. Was sollte Kirsten noch ausprobieren, bevor Nessus auf die Brücke kam und ihr die vorübergehend zugestandenen Privilegien wieder entzog?
Backup-Dateien: nichts. Cache: nichts. Assoziative Suche: etwas! In der Datenbank befanden sich noch einige Dateien, die zumindest mittelbar mit den Informationen zusammenhingen, nach denen Kirsten hier suchte. Doch als sie dann die einzelnen Dateien durchschaute, schwand ihre Hoffnung wieder. Hinweise und Andeutungen, mehr nicht.
Doch sie suchte weiter, und dann fiel ihr ein Begriff ins Auge, den sie bereits kannte: »elektromagnetische Schaufel«. Das war einer der als »vertraulich«, gekennzeichneten Begriffe, über den sie in Elysium gestolpert waren.
Der Boden kam näher und näher. Widerwillig brach Kirsten die Suche ab, galt es jetzt doch, die letzten Schritte der Landung einzuleiten. Kirsten tauschte Nachrichten mit der Verkehrsleitstelle aus, hielt sich dabei sorgsam an das Protokoll, das Nessus ihr erläutert hatte. Viel zu bald setzte die Explorer am Raumhaien von Arcadia auf.
Die übliche Ansage über das Intercom verkniff sich Kirsten. Sie hoffte, Nessus würde nicht sofort bemerken, dass sie bereits aufgesetzt hatten. Stattdessen übermittelte sie nur Omar eine kurze Nachricht: »Warte vor Nessus’ Kabine. Halt ihn auf, falls er herauskommt.«
Eine Suche nach ›elektromagnetischer Schaufel‹ führte nur zu diesem einen kryptischen Verweis, den sie bereits gesehen hatte. Was waren noch die anderen Ausdrücke, denen sie in Elysium begegnet waren? »Vereinte Nationen«: nichts. »Long Pass«: nichts. »Menschen«: mehrere Treffer! Sie kannte das Wort nicht: Vielleicht war das ›-en‹ eine Pluralendung? Nun suchte Kirsten nach »Mensch«, und die Anzahl der Treffer nahm weiter zu. Nichts von dem, was sie dort vorfand, sagte ihr auch nur das Geringste, und sie wagte es nicht, jetzt noch innezuhalten und das, was sie dort las, zu analysieren. Also kopierte sie alle Suchergebnisse in neue Dateien – denen sie völlig harmlose Namen gab –, und dann ersetzte sie in sämtlichen ihrer Dateien die Buchstabenfolge »Mensch«, durch »Bär«.
Auf einem der Displays sah Kirsten, wie sich eine Tür öffnete. Nessus erschien; jetzt
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