Ringwelt 11: Die Flotte der Puppenspieler
schien er sich wieder ganz unter Kontrolle zu haben. Nach einem kurzen Gespräch mit Omar drängte sich Nessus einfach an Omar vorbei. Kirstens Schiffskamerad folgte ihm; immer noch redete er auf den Bürger ein.
Wohin Nessus wohl wollte? Außer, dass er wohl auf dem Weg zur Brücke war, fiel Kirsten wirklich nichts ein.
Kirsten, die immer noch als »Nessus«, eingeloggt war, hatte jetzt vollständigen Zugriff auf die Schiffscomputer. Also erzeugte sie unter Pseudonym einen Zweit-Account, den sie mit vollständigen Administrator-Privilegien ausstattete. Als dann Nessus’ unverkennbare Kontraaltstimme durch den Korridor erscholl, löschte Kirsten noch schnell sämtliche Spuren ihrer Suche aus allen Verlaufs- und Sicherheitsdateien.
Nessus betrat die Brücke. »Danke für deine Hilfe, Kirsten.«
»Es war mir eine Freude«, erwiderte sie.
Nessus ließ sich auf seine Liege sinken. »Ich übernehme wieder.« Kirstens Display blitzte auf, dann verschwanden schlagartig sämtliche Informationen, die Kirsten nur dank Nessus’ Administrator-Modus zugänglich waren. »Ich danke noch einmal.«
In der letzten Datei, die Kirsten überflogen hatte, wurde ein ›Institut für Menschenforschung‹ erwähnt, das dem Außenministerium unterstellt war – genau dem Ministerium, für das Nike auf Hearth tätig war.
»Es war mir eine Freude«, wiederholte Kirsten.
KAPITEL SECHZEHN
Wen die Götter zerstören wollen, den treiben sie zunächst in den Wahnsinn.
Nachdem der Hinterste Nike zu sich gerufen hatte – und ihn nun warten ließ –, fragte sich Nike, wie viele Bürger, selbst diejenigen unter ihnen, die sich einen Namen aus der Mythologie der Menschen ausgewählt hatten, wohl den Namen ›Euripides‹ kannten. Vermutlich kein Einziger. Die aktuelle Krise hatte Nikes Faszination für die Menschheit noch verstärkt – und das sogar in dem Maße, dass er erneut bereute, bei der Wahl seines eigenen Namens derart vermessen gewesen zu sein. In letzter Zeit fühlte er sich alles andere als siegreich.
War es ein Fehler gewesen, mit Nessus’ Mannschaft zusammenzutreffen? Sie alle wirkten so normal. Die schwere Entscheidung, die es wegen der Menschen zu treffen galt, fiel ihm noch ungleich schwerer, nachdem er nun mit den Kolonisten gesprochen hatte. Vielleicht war es reiner Wahnsinn, eine derartige Entscheidung zu treffen. Vielleicht war es reiner Wahnsinn, es nicht zu tun.
Derart düstere Gedanken betonten nur noch, wie einsam sich Nike in diesem todschicken, geradezu beunruhigend geräumigen Vorzimmer fühlte. Er brauchte dringend eine Ablenkung. Was, so fragte er sich, wäre ein passender Menschen-Name für den mächtigsten aller Bürger? Nach und nach ging Nike sämtliche der wichtigsten Mitglieder des Pantheons durch – und verwarf jeden einzelnen möglichen Namen.
Vielleicht ein legendärer Sterblicher: Sisyphus. Der Hinterste war sehr schlau, und doch verbrachte er einen Großteil seiner Zeit mit nutz- und endlosen Unterlängen. Es hatte etwas davon, auf der Leier den Brand von Hearth zu begleiten.
Doch natürlich lehnte der Hinterste vehement diese aktuelle Mode ab, sich einen Namen aus der Mythologie der Menschen zuzulegen.
In plötzlicher Hast materialisierten rings um Nike der Hinterste und ein kleiner Mitarbeiterstab. Alle waren in prächtige Grüntöne gewandet, und die prächtigste Kleidung trug natürlich der Hinterste persönlich. Nikes Gastgeber hatte seine aufwändig frisierte Mähne mit Smaragden und Jade verziert. Trotz seines fortgeschrittenen Alters schimmerte seine rötlich-graue Haut regelrecht, sie wirkte frisch und gesund. »Ich danke Ihnen, dass Sie gekommen sind«, begrüßte der Hinterste Nike.
Nike senkte beide Köpfe, aber nur minimal. Er vollführte diese Geste wohlkalkulierten Respekts mit einem zur Schau gestellten Selbstbewusstsein, das er in Wirklichkeit ganz und gar nicht empfand. Die Mitarbeiter des Hintersten blickten Nike missbilligend an. »Es ist mir eine Ehre, in Ihr Heim gebeten worden zu sein.«
Sanft strich der Hinterste mit beiden Köpfen über Nikes, als begrüße er einen Gleichgestellten. »Wir leben in interessanten Zeiten.«
»Das ist wahr«, gab Nike vorsichtig zurück. Mit einer grazilen Halsbewegung bedeutete der Hinterste seinen Mitarbeitern, sich zurückzuziehen. Schnell verschwanden sie. »Kommen Sie. Genießen wir die frische Luft.«
Nike folgte dem Hintersten durch eine virtuelle Wand und ein wetterabweisendes Kraftfeld hindurch auf einen langen,
Weitere Kostenlose Bücher