Ringwelt
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Verdammt, was bedeutete schon die Größe der Erde auf diesem Kunstplaneten! Die Meere, die Louis als Beulen in der Außenfläche der Ringwelt bestaunt hatte, waren so riesig, daß auch die größte Welt im menschlichen Universum bequem darin Platz gefunden hätte. Man konnte sogar die Welt als Merkatorprojektion auf so einem Meer ausbreiten, und es blieb immer noch so viel Platz am Rande, daß man mit einem Schiff tagelang reisen mußte, um das Ufer zu erreichen.
»Ich hätte nicht lachen dürfen«, sagte Louis zerknirscht.
Er hatte auch noch immer den gellenden Schrei im Ohr, als Nessus die strahlende Größe der Ringwelt zum erstenmal erblickte.
»Was soll's«, dachte Louis. Immerhin ließ er seinen Fehler mit einer Geschwindigkeit von zwölfhundert Meilen pro Stunde hinter sich.
Die Dämmerung brach herein. Die Linie, die den Tag von der Nacht trennt, wird Terminator genannt. Den Terminator der Erde kann man vom Mond aus sehen. Auch aus einer Umlaufbahn um die Erde kann man den Terminator beobachten. Doch auf der Oberfläche der Erde ist diese Linie nicht zu erkennen.
Die geraden Linien, die auf dem Bogen der Ringwelt die hellen Vierecke von den dunkelblauen Schatten trennen, waren alle Terminatoren -Grenzen zwischen Tag und Nacht.
Von spinwärts her flog der Terminator auf die Schwadron der Flugräder zu. Die Tag-und-Nacht-Scheide spannte sich vom Boden bis in den Himmel, von der Unendlichkeit auf Backbord bis zu der Unendlichkeit auf Steuerbord. Sie kam auf sie zu wie das sichtbar gewordene Schicksal - eine leuchtende Mauer, der man nicht ausweichen konnte.
Die Mauer erreichte sie. Die Korona im Zentit wurde heller, wuchs zu einem gleißenden Punkt, als die Schattenblende zurückwich. Louis blickte in die Nacht zu seiner Linken und in den Tag zu seiner Rechten, während der Terminator-Schatten über eine endlose Ebene wanderte. Was für eine denkwürdige Dämmerung, dachte Louis, eigens für den Touristen Louis Wu in Szene gesetzt!
In unendlicher Entfernung auf Steuerbord, über dem Dunstschleier der Ringwelt, zeichneten sich jetzt die Umrisse eines Berggipfels scharf im Licht des neuen Tages ab.
Die Faust Gottes!
Was für ein Name, dachte Louis. Er ließ die beiden Worte leise über die Zunge rollen.
Ihm taten alle Glieder nach diesem langen Nachtflug weh. Die Nase war immer noch gefühllos, und das Frühstücksbrikett schmeckte nach künstlicher Nahrung. Es gab noch immer keinen heißen Kaffee.
Doch dafür bekam Wu, der Tourist, ein königliches Schauspiel geboten.
Seine Gedanken wanderten. Er dachte an den Kampfreflex des Puppetiers. Noch nie war jemand vor ihm auf den Gedanken gekommen, daß der Fluchtreflex dieses Wesens gleichzeitig ein Kampfreflex war.
Und er dachte an den Sternsamen-Köder, den die Puppetiers vor Tausenden von Jahren erfunden hatten. Das waren elektromagnetische Wellen, in bestimmten Rhythmen ausgesandt, um diese dummen Dinger anzulocken. Was für ein origineller Gedanke - eine Falle für Sternsamen. Bisher hatte noch kein Puppetier von diesem Köder gesprochen. Erst Nessus hatte diesen Köder zum erstenmal erwähnt.
Wußten denn die Puppetiers auch, daß die Schiffe der Außenseiter immer den Schwärmen der Sternensamen folgten?
Wußte er das?
Nessus hatte sich aus der Konferenzschaltung ausgeschaltet. Wahrscheinlich schlief er noch. Louis drückte die Ruftaste, damit Nessus das grüne Licht auf seinem Armaturenbrett sah, sobald er aufwachte.
Die Sternensamen waren primitive Wesen ohne Verstand, die im galaktischen Kern umherschwammen. Sie ernährten sich von dem dünn verteilten Wasserstoff im interstellaren Raum und bewegten sich mit Hilfe eines Photonensegels, das sie wie einen riesigen Fallschirm aufspannen konnten. Ein Schwarm Sternensamen, der seinen Laichzug machte, flog in der Regel vom galaktischen Kern bis hinaus in den intergalaktischen Graben. Wenn der Schwarm dort gelaicht hatte, schwamm er wieder zurück zum Kern. Die ausgeschlüpften Sternensamen mußten den Weg in das Land ihrer Eltern selbst finden. Sie richteten sich nach den Photonenwinden und strebten dem warmen, wasserstoffreichen Kern der Galaxis zu.
Wo Schwärme der Sternensamen durch das All zogen, waren auch die Außenseiter nicht weit.
Warum folgten die Schiffe der Außenseiter immer den Schwärmen der Sternensamen? Eine blödsinnige Frage, dachte Louis, ohne jede praktische Bedeutung.
Augenblick mal! Vielleicht war diese Frage gar nicht so dumm!
Als der erste kzintisch-menschliche
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