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Ripley Under Ground

Ripley Under Ground

Titel: Ripley Under Ground Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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nimmt sich irgendwo das Leben?« fragte Jeff.
»Ja, das meine ich.« Tom hatte von der aufgehängten Puppe in seinem Hause gar nichts sagen wollen, aber warum eigentlich nicht? Manchmal konnte die Wahrheit, selbst wenn sie gefährlich war, doch zur Erkenntnis von etwas Neuem beitragen. »Er hat sich nämlich bei mir, in meinem Keller, erhängt – allegorisch. Vielmehr nicht sich, sondern ein Kleiderbündel hat er aufgehängt und hat ›Bernard Tufts‹ darangeschrieben. Er meinte den alten Bernard, den Fälscher. Oder vielleicht auch den richtigen. Er bringt das alles durcheinander.«
»Mensch! Er hat sie nicht mehr alle, was?« sagte Ed und sah Jeff dabei an. Beide saßen mit großen Augen da, Jeff, wie immer, ein wenig kühler, berechnender. War ihnen etwa erst jetzt klargeworden, daß Bernard Tufts in Zukunft keine Derwatts mehr malen würde?
»Wißt ihr«, sagte Tom, »das sind ja vorläufig nur Vermutungen. Es hat keinen Zweck sich aufzuregen, solange nichts passiert ist. Aber –« Er stand auf. Er hatte hinzufügen wollen: ›Worauf es ankommt, das ist, daß Bernard glauben muß, er habe mich umgebracht.‹ Aber kam es darauf wirklich jetzt an, und wieso? Er war, das fiel ihm jetzt ein, froh gewesen, daß heute keine Presseleute erschienen waren und die Zeitungen daher morgen keine Artikel mit der Überschrift »Derwatt ist wieder da« bringen konnten, denn wenn Bernard das irgendwo läse, mußte er wissen, daß Tom auf irgendeine Weise lebendig dem Grabe entstiegen war. Das wäre vielleicht zwar gut für Bernard, denn wenn er wußte, daß er Tom Ripley nicht umgebracht hatte, hatte er weniger Grund zum Selbstmord. Oder ob das in seinen verwirrten Gedankengängen jetzt gar keine Rolle spielte? Was war hier richtig, und was war falsch?
Es war nach sieben, als Tom Cynthia unter ihrer Bayswater Nummer anrief. »Cynthia – bevor ich abfahre, wollte ich dich noch fragen – falls ich Bernard noch mal sehe, irgendwo, kann ich ihm etwas von dir sagen, nur ein Wort, daß du –«
»Daß ich was?« fragte Cynthia knapp und in deutlicher Verteidigungsstellung – viel mehr als Tom.
»Daß du ihn wiedersehen willst. In London. Weißt du, es wäre herrlich, wenn ich ihm etwas wirklich Positives sagen könnte. Er ist so schrecklich deprimiert.«
»Aber ich finde, es hat gar keinen Sinn, daß ich ihn wiedersehe«, gab Cynthia zurück. Aus ihrer Stimme hörte Tom das ganze Bollwerk aus Schlössern und Kirchen, grauen und hellen Mauersteinen, fest und uneinnehmbar: der Mittelstand. Stramme Haltung. »Du willst ihn also unter keinen Umständen wiedersehen?«
»Nein, wirklich nicht. Viel besser, so etwas nicht noch zu verlängern. Auch für ihn leichter.«
Endgültig. Unsentimental. Aber kleinlich war es ebenfalls. Kleinkariert. Doch wenigstens wußte Tom nun, woran er war. Ein Mädchen war beiseite geschoben worden, verlassen, aufgegeben – vor drei Jahren. Es war Bernard, der die Beziehung damals abgebrochen hatte. Nun mußte er selber sehen, wie er damit zurechtkam. »Gut, Cynthia.«
Ob es ihren Stolz befriedigen würde, wenn sie wüßte, daß Bernard sich ihretwegen das Leben nehmen wollte?
Jeff und Ed hatten sich währenddessen in Jeffs Schlafzimmer unterhalten und hatten das Gespräch nicht mit angehört, doch sie fragten, was Cynthia gesagt habe.
»Sie will Bernard nicht wiedersehen«, antwortete Tom.
Weder Jeff noch Ed schien zu verstehen, was das bedeutete.
Abschließend sagte Tom dann: »Es kann ja auch sein, daß ich selber Bernard nicht wiedersehe.«

20
    Sie gingen also zu Michaels Party. Wie Michael mit Nachnamen hieß, blieb unbekannt. Gegen Mitternacht kamen sie an; die Hälfte der Gäste war beschwipst, und Tom sah niemanden, der ihm im mindesten wichtig erschien. Er saß in einem Sessel, reichlich nahe der Lampe, vor sich einen Whisky mit Soda, und unterhielt sich mit einigen Leuten, denen er ehrfürchtige Scheu oder zumindest deutlichen Respekt einzuflößen schien. Jeff stand ihm gegenüber auf der anderen Seite des Zimmers und behielt ihn im Auge.
    Die Räume waren rosa dekoriert, mit vielen riesengroßen Troddeln; die Stühle sahen aus wie weißes Schaumgebäck. Die Mädchen waren so kurz angezogen, daß Toms Augen – an solche Dinge nicht gewöhnt – zunächst von der bunten Vielfalt der straffsitzenden Höschen fasziniert und dann sehr bald abgestoßen wurde. Verrückt, dachte er. Vollkommen hirnverbrannt. Oder sah er sie vielleicht so, wie Derwatt sie sehen würde? Konnte ein Mensch sich

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