Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ripley Under Ground

Ripley Under Ground

Titel: Ripley Under Ground Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
Vom Netzwerk:
Philosophen, der jahrelang einsam am Fuß mexikanischer Berge meditiert hat.
»Kommen Sie jemals – inkognito nach Europa? Wir wissen, Sie lieben die Einsamkeit –«
»Derwatt, ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie morgen zehn Minuten Zeit für mich hätten. Darf ich fragen, wo Sie –«
»Tut mir leid, aber ich weiß noch nicht, wo ich wohne«, sagte Tom.
Freundlich drängte Jeff die Reporter jetzt zum Gehen, und die Kameras begannen zu blitzen. Tom sah zu Boden; dann, als sie ihn baten, blickte er für einige Aufnahmen geradeaus. Jeff ließ einen Kellner mit weißer Jacke ein, der ein Tablett mit Gläsern trug. Das Tablett wurde im Nu geleert.
Mit scheuer Liebenswürdigkeit hob Tom die Hand zum Abschied. »Haben Sie vielen Dank – alle.«
»Mehr nicht, bitte«, sagte Jeff an der Tür.
»Aber ich –«
»Ah, Mr. Murchison. Bitte treten Sie ein.« Jeff wandte sich an Tom. »Derwatt – hier ist Mr. Murchison. Aus Amerika.«
Mr. Murchison war ein großer Mann mit freundlichem Gesicht. »Guten Tag, Mr. Derwatt«, sagte er lächelnd. »Was für eine unerwartete Freude, Sie hier in London zu sehen!«
Händeschütteln. »Guten Tag«, sagte Tom.
»Und dies ist Edmund Banbury«, sagte Jeff. »Mr. Murchison.«
Auch Ed begrüßte Mr. Murchison.
»Ich besitze nämlich eins Ihrer Bilder, ›Die Uhr‹. Ich habe es sogar mitgebracht.« Mit breitem, offenem Lächeln blickte Mr. Murchison Tom an, fasziniert und respektvoll. Tom hoffte, daß ihm die Überraschung den Blick ein wenig trübte.
»Ach ja«, sagte Tom.
Wieder schloß Ed behutsam die Tür ab. »Wollen Sie nicht Platz nehmen, Mr. Murchison?«
»Danke, ja.« Murchison setzte sich auf einen Stuhl.
Jeff begann die Gläser einzusammeln, die am Rand der Bücherborde und auf dem Schreibtisch standen.
»Also, wenn ich gleich zur Sache kommen darf, Mr. Derwatt – mich interessiert ein bestimmter Wechsel in der Technik, den Sie in der ›Uhr‹ vorgenommen haben. Sie wissen doch, welches Bild ich meine?« fragte Murchison.
War das eine gezielte Frage oder nicht? »Selbstverständlich«, sagte Tom.
»Können Sie es beschreiben?«
Tom stand immer noch an den Schreibtisch gelehnt. Ein leichtes Frösteln überlief ihn. Er lächelte. »Ich kann meine Bilder nie richtig beschreiben. Es würde mich nicht wundern, wenn hier gar keine Uhr drin wäre. Sie wußten sicher nicht, daß ich sehr oft meine Titel nicht selber mache. Wie jemand zum Beispiel ›Sonntagmittag‹ aus einem Bild von mir herauslesen konnte, werde ich nie begreifen.« (Tom hatte einen Blick auf das Programm der achtundzwanzig Derwatts geworfen, die die heutige Ausstellung enthielt; Jeff oder sonst jemand hatte es klugerweise geöffnet auf die Schreibunterlage gelegt.) »Ist das dein Werk, Jeff?«
Jeff lachte. »Nein, ich glaube, das war Ed. Möchten Sie etwas trinken, Mr. Murchison? Ich hole Ihnen ein Glas.«
»Vielen Dank, nein, ich möchte nichts.« Wieder wandte sich Mr. Murchison an Tom. »Es ist eine blauschwarze Uhr, und sie wird gehalten von – Sie wissen doch?« Er lächelte, als gebe er Tom ein einfaches Rätsel auf.
»Von einem kleinen Mädchen, glaube ich, und sie – sie blickt den Beschauer an, nicht wahr?«
»Hm-m. Ja, das stimmt. Aber ich glaube, Sie mögen auch gar keine kleinen Jungen, oder?«
Tom lachte erleichtert auf, weil er richtig geraten hatte.
»Ja, ich muß sagen, kleine Mädchen sind mir lieber.«
Murchison zündete sich eine Chesterfield an. Er hatte braune Augen, leichtgewelltes hellbraunes Haar und ein energisches Kinn, das wie der ganze Mann etwas zu fleischig war. »Ich möchte gern, daß Sie mein Bild mal ansehen. Ich habe einen Grund dafür, wissen Sie. Einen Augenblick, ich hole es. Es ist draußen bei den Mänteln.«
Jeff ließ ihn hinaus und schloß hinter ihm die Tür ab.
Jeff und Tom sahen sich an. Ed stand gegen eine Bücherwand gelehnt und schwieg. Tom sagte flüsternd:
»Menschenskinder – die ganze Zeit hat das verdammte Bild da in der Garderobe gestanden? Hätte nicht einer von euch es herausholen und verbrennen können?«
»Ha-ha!« lachte Ed unsicher.
Jeff wollte lächeln, doch der Mund zuckte nur. Er blieb unbewegt, als ob Murchison noch im Zimmer wäre.
»Na, dann wollen wir ihn mal anhören«, sagte Tom langsam und zuversichtlich mit Derwatts Stimme. Er versuchte, die Manschetten zurückfallen zu lassen, aber es ging nicht.
Jetzt kam Murchison zurück; unter dem Arm trug er ein in braunes Packpapier gewickeltes Bild. Es war ein mittelgroßer Derwatt, etwa sechzig

Weitere Kostenlose Bücher