Ripley Under Ground
Hintertür rauslassen wie weiland Aschenputtel?«
»Kann ich, aber ich will erst mit Leonard reden.« Jeff grinste. »Ich hol ihn her.« Er ging hinaus.
Das Stimmengemurmel in der Galerie hatte abgenommen. Tom sah Ed an, der etwas blaß aussah. Er dachte: Ich kann verschwinden, aber du nicht. Tom reckte die Schultern und hob die Finger zum V-Zeichen. »Kopf hoch, Banbury. Wir kommen schon durch.«
»Oder auch nicht«, erwiderte Ed mit einer leicht obszönen Geste.
Jetzt erschien Ed mit Leonard, einem schmalen adretten jungen Mann in edwardianischem Anzug mit vielen Knöpfen und Samteinfassungen. Bei Derwatts Anblick brach er in Lachen aus, und Jeff dämpfte ihn.
»Fabelhaft, ganz fabelhaft!« sagte Leonard und betrachtete Tom mit aufrichtiger Bewunderung. »Ich kenne viele Bilder von ihm, wissen Sie. Ganz phantastisch, wirklich. Beinahe wie ich letztes Jahr – da habe ich ToulouseLautrec gestellt, mit zurückgebundenen Füßen! Haha!« Er starrte Tom an. »Wer sind Sie eigentlich?«
»Das bleibt geheim«, sagte Jeff. »Man bescheide sich –«
»Man bescheide sich mit der Feststellung«, sagte Ed, »daß Derwatt soeben der Presse ein glänzendes Interview gegeben hat.«
»Und morgen gibt es ihn nicht mehr. Er kehrt zurück nach Mexiko«, sagte Jeff im Flüsterton. »Also – zurück zur Pflicht, Leonard.«
»Ciaò « , sagte Tom und hob die Hand.
»Hommage « , erwiderte Leonard und verneigte sich. Er schob sich rückwärts zur Tür und fügte hinzu: »Die Leute sind beinahe alle weg. Der Schnaps auch.« Er schloß die Tür hinter sich.
Tom war nicht ganz so munter. Er sehnte sich danach, die Verkleidung abzulegen. Die Lage war prekär und noch keineswegs gelöst.
Sie kamen ins Atelier zurück und stellten fest, daß Bernard fort war. Ed und Jeff schienen erstaunt, und auch Tom war nicht recht wohl, denn Bernard mußte wissen, was bevorstand.
»Man kann ihn doch natürlich erreichen –?« fragte Tom.
»Na klar.« Ed machte sich Tee in Jeffs kleiner Küche. »Bernard ist immer chez lui. Er hat Telefon.«
Es fuhr Tom durch den Kopf, daß auch das Telefon möglicherweise auf die Dauer nicht mehr sicher war.
»Also: Murchison wird dich noch einmal sprechen wollen«, sagte Jeff. »Und zwar zusammen mit dem Experten. Du mußt also verschwinden. Du fährst morgen wieder nach Mexiko – offiziell. Vielleicht sogar besser heute abend.« Jeff nippte an seinem Pernod. Er sah ganz zuversichtlich aus, vermutlich weil das Presse-Interview und sogar das Gespräch mit Murchison einigermaßen gut verlaufen war, dachte Tom.
»Blödsinn, Mexiko.« Ed kam mit seiner Tasse Tee ins Zimmer. »Derwatt hält sich irgendwo in England auf, bei Freunden, und selbst wir wissen nicht, wo. Laß mal ein paar Tage vergehen, dann kann er nach Mexiko fahren. Wie!? Wer weiß.«
Tom zog das schlappe Jackett aus. »›Die roten Stühle‹ – sind die datiert?«
»Ja«, gab Jeff zur Antwort. »Die sind sechs Jahre alt.«
»Hm. Das steht sicher in mehreren Drucksachen, was?« fragte Tom. »Ich dachte, man könnte es umdatieren, damit wir diese Purpursache aus der Welt schaffen.«
Ein schneller Blick ging zwischen Ed und Jeff hin und her, dann sagte Ed hastig: »Nein, das steht in zu vielen Katalogen.«
»Einen Ausweg gibt es. Bernard muß mehrere Bilder machen – mindestens zwei –, und zwar in dieser klaren Kobaltfarbe. Als Beweis dafür, daß er beide Schattierungen verwendet.« Aber sehr überzeugt war Tom nicht von dem, was er sagte, und er wußte auch den Grund. Er hatte das Gefühl, daß sie gerade auf Bernard nicht länger zählen konnten. Tom sah die beiden andern nicht an. Sie hatten Zweifel. Er versuchte, gerade und aufrecht zu stehen und sich in seiner Derwatt-Aufmachung sicher zu fühlen. »Hab ich euch schon mal von meiner Hochzeitsreise erzählt?« fragte er mit Derwatts monotoner Stimme.
»Nee – erzähl mal von deiner Hochzeitsreise!« Jeff war bereit zum Lachen, er grinste schon.
Tom stellte sich leicht gebückt hin, wie Derwatt. »Es war – also es war beklemmend, die Atmosphäre. In Spanien. Wir hatten eine Hotelsuite genommen, Heloise und ich, und waren oben in unseren Zimmern, und unten im Patio war ein Papagei, der sang Carmen – und sehr schlecht. Und jedesmal, wenn wir gerade – na ja, dann legte er los: Ah-ha-ha-ha-ha-ha-haaaa –! Ah-haha-ha-hahaaaa! Die Leute lehnten sich aus den Fenstern und brüllten auf spanisch: ›Halt doch deinen Drecksschnabel! Wer hat diesem Geschöpf beigebracht, Carmen zu singen! Bring das
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