Ripley Under Ground
nach Empfangsbescheinigungen und Eingangslisten der Bilder aus Mexiko zu fragen, dachte Tom, so hätte ihn das sicher schwer beunruhigt. Das mußte er ihm morgen früh sagen. Am besten rief er ihn aus einer Telefonzelle oder von der Post aus an. Im Hotel konnte immer jemand mithören, da war man besser vorsichtig. Er hoffte natürlich noch immer, Murchison von seiner Theorie abzubringen, aber wenn ihm das nicht gelang, war es besser, die Galerie Buckmaster bereitete ein paar Firmenbücher vor, die wirklich echt und authentisch aussahen.
5
Am nächsten Morgen frühstückte Tom im Bett – ein Privileg, für das man in englischen Hotels ein paar puritanische Shilling extra zu entrichten hatte – und rief dann Mme. Annette an. Es war erst acht Uhr, aber Tom wußte, sie war bestimmt schon seit einer Stunde auf und ging singend den morgendlichen Arbeiten nach: sie stellte die Heizung höher (mit Hilfe eines kleinen Schalters in der Küche), brühte sich ihre dünne infusion auf (Tee, denn Kaffee machte ihr morgens Herzklopfen) und verschob die Blumentöpfe auf den verschiedenen Fensterbänken, damit sie möglichst viel Sonne bekamen. Und sie wäre hocherfreut über einen coup de fil aus Munich.
»Allo – Allo! Alloo!!« Die Telefonistin war böse. »Allo –?« fragend.
»Allo!«
Drei französische Telefonistinnen waren gleichzeitig in der Leitung, dazu noch die Beamtin in der Zentrale des Mandeville.
Endlich war Mme. Annette am Apparat. »Wir haben sehr schönes Wetter heute morgen. Die Sonne scheint«, sagte sie.
Tom lächelte. Er hatte eine muntere Stimme sehr nötig. »Mme. Annette . . . Ja, mir geht´s sehr gut, ich danke schön. Was macht der Zahn? . . . Das ist schön. Ich rufe an . . . ich wollte Ihnen sagen, daß ich heute nachmittag so um vier nach Hause komme und einen amerikanischen Herrn mitbringe.«
»Ah-h«, sagte Mme. Annette erfreut.
»Ja – er bleibt eine oder zwei Nächte, ich weiß noch nicht. Würden Sie das Gastzimmer ein bißchen nett zurechtmachen? Und ein paar Blumen reinstellen? Und zum Essen heute abend vielleicht Tournedos mit der béarnaise, die Sie so wunderbar machen?«
Mme. Annette – das hörte man – war selig über die Aussicht, daß Tom einen Gast mitbrachte und sie etwas Richtiges zu tun bekam.
Dann rief Tom Mr. Murchison an, und sie verabredeten, sich gegen zwölf in der Hotelhalle zu treffen und gemeinsam mit einem Taxi zum Flugplatz Heathrow zu fahren.
Tom trat auf die Straße; er wollte zum Berkeley Square. Dort in der Nähe gab es ein Herrenmodegeschäft, wo er fast jedesmal, wenn er in London war, einen Seidenpyjama erstand: ein Kauf, der schon zum Ritual geworden war. Außerdem war es auf dieser Reise vielleicht die letzte Möglichkeit, mit der Untergrundbahn zu fahren, die unbedingt zur Londoner Atmosphäre gehörte. Tom war ein großer Bewunderer der Wandkritzeleien in den Untergrundbahnhöfen. Die Sonne kämpfte sich etwas mühsam durch den nieseligen Nebel, aber es regnete nicht. Behende schlüpfte er in den Bahnhof Bond Street, wo sich noch die letzten Fahrgäste der morgendlichen Stoßzeit drängten. Was Tom an den Londoner Wandkritzlern vor allem bewunderte, war ihre Fähigkeit, von der fahrenden Rolltreppe aus zu schreiben. Die meisten Plakate entlang den Wänden waren Werbebilder für Damenwäsche, man sah fast nichts als Mädchen in schlanken Miedern und Höschen, versehen mit männlichen und weiblichen anatomischen Zugaben und manchmal mit ganzen Sätzen wie: »Wunderbar, ein Hermaphrodit zu sein!« Wie machten sie das bloß? Liefen sie beim Schreiben in der der Rolltreppe entgegengesetzten Richtung? »Wogs raus!« konnte man überall lesen, manchmal auch: »Sofort Wogs raus!« Unten auf dem Bahnsteig sah Tom ein Plakat für die ZeffirelliAufführung von Romeo und Julia: Romeo lag auf dem Rücken, nackt, und Julia kroch über ihn und machte ihm, wie die Schrift vor ihrem Mund besagte, einen ganz unerhörten Vorschlag. Seine Antwort, sauber in einen kleinen Ballon gerahmt, war: »Okay, mach los!«
Um halb elf hatte Tom seinen Pyjama erstanden. Er war gelb. Eigentlich hatte er einen dunkelroten kaufen wollen, weil er gerade keinen roten hatte, aber er hatte jetzt erstmal genug von Rot. Er nahm ein Taxi zur Carnaby Street und kaufte dort für sich ein paar enge satinartige Hosen – er mochte keine ausgestellten Aufschläge – und für Heloise eine weite schwarzwollene Hose, Hüftweite sechsundzwanzig. Die kleine Umziehkabine, wo er seine Hose anprobierte,
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