Ripley Under Ground
hatte er das Holz aus dem Staatsforst geholt und war ebenso froh wie Tom, wenn er niemanden traf.
Tom grub weiter, bis das Loch fast vier Fuß tief war. Quer hindurch liefen Wurzeln, die nur mit einer Säge entfernt werden konnten. Dann kletterte er heraus und sah sich nach einer geeigneten Stelle, irgendeiner Vertiefung im Boden um, wo er Murchison vorübergehend unterbringen konnte. In fünf Meter Entfernung fand er eine. Wieder schleppte er die Leiche am Seil dorthin und deckte das graue Segeltuch mit Laub und Zweigen zu. Jedenfalls würde die Stelle vom Fußweg aus niemandem auffallen.
Dann schob er den jetzt federleichten Karren auf den kleinen Weg und brachte ihn, um noch ein übriges zu tun, in den Schuppen zurück, damit Mme. Annette ihn gar nicht erst sah und danach fragte.
Er mußte durch die vordere Haustür eintreten, denn die Glastüren waren verschlossen. Schweißtropfen standen ihm auf der Stirn.
Oben fuhr er sich mit einem warmen feuchten Handtuch über den Oberkörper, zog seinen Pyjama an und ging wieder ins Bett. Es war zwanzig vor acht. Er hatte eigentlich zu viel getan für die Firma Derwatt Ltd. War sie es wert? Merkwürdigerweise: Bernard war es wert. Wenn es ihnen gelang, Bernard über diese crise zu bringen.
Aber so konnte man die Sache nicht ansehen. Er hätte doch nie daran gedacht, jemanden umzubringen, nur um Derwatt Ltd. oder sogar Bernard zu retten, oder? Er hatte Murchison erschlagen, weil der dort im Keller erraten hatte, daß er – Tom – Derwatts Rolle gespielt hatte. Er hatte Murchison umgebracht, um sich selbst zu retten. Aber hatte er schon vorgehabt, Murchison auf jeden Fall umzubringen, als sie zusammen in den Keller hinuntergingen? Oder hatte er es nicht geplant? Tom grübelte darüber nach und fand keine Antwort. Und war es jetzt überhaupt noch wichtig?
Bernard war der einzige aus dem Trio, den er nicht völlig verstand, und doch hatte er ihn am liebsten. Bei Ed und Jeff war das Motiv so simpel: sie wollten Geld. Und Cynthia: Tom glaubte nicht, daß sie mit Bernard gebrochen hatte. Es hätte ihn nicht erstaunt, wenn Bernard (der zweifellos einmal in Cynthia verliebt gewesen war) die Beziehung abgebrochen hatte, weil er sich wegen der Fälschungen schämte. Es müßte interessant sein, ihn darüber irgendwann einmal zu hören. Ja, an Bernard war etwas Geheimnisvolles, und Geheimnisse machten Menschen interessant, so daß sich andere in sie verliebten. Trotz des häßlichen Segeltuchbündels im Wald hinter seinem Haus hatte Tom das Gefühl, als trügen ihn seine Gedanken weit fort, wie auf Wolken. Es war seltsam und sehr schön, von Bernards Wünschen und Ängsten zu träumen, von seiner Scham und – vielleicht – seiner Liebe. Bernard hatte, ebenso wie der wirkliche Derwatt, etwas von einem Heiligen an sich.
Zwei Fliegen, irrsinnig wie immer, ärgerten Tom. Eine zog er sich aus dem Haar. Jetzt surrten sie um den Nachttisch. Es war spät im Jahr für Fliegen, und er hatte sie reichlich satt nach diesem Sommer. Die ländlichen Gegenden in Frankreich waren berühmt für ihre Vielfalt an Fliegen, die sogar die Vielzahl der Käsesorten noch übertraf; das hatte Tom irgendwo gelesen. Jetzt sprang die eine Fliege der ändern auf den Rücken. In voller Sicht! Schnell strich Tom ein Streichholz an und hielt es unter die beiden Insekten. Die verbrannten Flügel zischten leise. Bss-bsss. Die kleinen Beine streckten sich in die Luft und krümmten sich zum letztenmal. Ah – Liebestod! Vereint bis zum letzten Moment.
Wenn das in Pompeji möglich war, warum dann nicht in Belle Ombre, dachte Tom.
8
Den Samstag morgen verbrachte Tom ohne richtige Arbeit; er schrieb einen Brief an Heloise, per Adresse American Express Co., Athen, und um halb drei hörte er sich im Rundfunk ein lustiges Programm an, wie er es oft tat. Mme. Annette fand ihn manchmal Samstag nachmittags, wenn er sich vor Lachen auf dem gelben Sofa krümmte. Ab und zu bat ihn Heloise, ihr das Gehörte zu übersetzen, aber vieles ließ sich gar nicht übersetzen, jedenfalls nicht die Wortspiele. Um vier Uhr folgte er einer Einladung, die mittags telefonisch gekommen war, und ging zum Tee zu Antoine und Agnès Grais, die auf der anderen Seite von Villeperce wohnten, nahe genug, um zu Fuß hinzugehen. Antoine war Architekt in Paris und blieb die Woche über in seinem Stadtbüro. Agnès, eine stille Blondine von etwa achtundzwanzig, blieb in Villeperce und versorgte die beiden kleinen Kinder. Es waren noch vier weitere Gäste
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