Ripley Under Ground
dort, alles Pariser.
»Und was haben Sie getrieben, Tome?« fragte Agnès, als sie Tee getrunken hatten und Antoines Spezialität auf dem Tisch erschien, eine Flasche starker alter holländischer Gin, den man auf Anraten der Gastgeber unverdünnt trinken sollte.
»Ein bißchen gemalt. Im Garten herumgepusselt und wahrscheinlich die falschen Sachen gesäubert.« Im Französischen hieß ›säubern‹ das gleiche wie ›Unkraut jäten‹.
»Nicht sehr einsam? Wann kommt Heloise denn wieder?«
»In einem Monat vielleicht.«
Die anderthalb Stunden im Graisschen Hause taten Tom wohl. Die beiden Eheleute erwähnten nichts von seinen zwei Gästen, Murchison und Graf Bertolozzi; vielleicht hatten sie sie gar nicht gesehen und auch durch Mme. Annette, die beim Einholen gern und viel erzählte, nichts von ihnen gehört. Auch über seine rötlichen und fast noch blutenden Handballen, die das Seil um Murchison durchgescheuert hatte, verloren sie kein Wort.
Abends lag Tom ohne Schuhe auf dem gelben Sofa und blätterte in Harraps Dictionary; der Band war so schwer, daß er ihn gegen seine Beine lehnen oder auf einen Tisch legen mußte. Er wartete auf einen Anruf, ohne genau zu wissen, wer ihn anrufen sollte. Um Viertel nach zehn ging das Telefon. Chris Greenleaf in Paris.
»Ist dort – Tom Ripley?«
»Ja, ich bin´s. Guten Tag, Chris. Wie geht´s?«
»Danke, wunderbar. Wir sind gerade angekommen, mein Freund und ich. Ich bin so froh, daß ich Sie erreicht habe! Ich konnte nämlich keinen Brief mehr von Ihnen bekommen, falls Sie geschrieben haben. Und nun – ich – «
»Wo wohnen Sie?«
»Im Hotel Louisiane. Warm empfohlen von allen daheim. Dies ist mein erster Abend in Paris – ich hab noch nicht mal meinen Koffer aufgemacht. Ich wollte Sie erst anrufen.«
»Und was haben Sie vor? Wann möchten Sie herkommen?«
»Oh, irgendwann. Ich möchte natürlich auch einiges hier sehen. Vielleicht zuerst den Louvre.«
»Wie wär´s mit Dienstag, ginge das?«
»Ja – schon, aber ich hatte eigentlich an morgen gedacht, weil mein Freund morgen den ganzen Tag zu tun hat. Er hat hier einen Vetter, einen Amerikaner, der wohnt hier, schon älter. Und deshalb dachte ich –«
Tom fiel kein Grund ein, ihm abzusagen oder sich herauszureden. »Gut, morgen dann. Nachmittags? Am Vormittag habe ich nämlich noch zu tun.« Er erklärte Chris, daß er an der Gare de Lyon einen Zug nach Moret-les-Sablons nehmen müsse und daß er noch einmal anrufen solle, wenn er sich einen Zug ausgesucht hatte, damit Tom ihn dann abholen konnte.
Morgen würde also Chris sicher über Nacht bleiben. Das hieß, überlegte Tom, daß er morgen früh das Grab fertigmachen und Murchison hineinschaffen mußte. Wahrscheinlich war das unbewußt auch der Grund, warum er nachgegeben und Chris erlaubt hatte, morgen zu kommen. Es verstärkte den Druck.
Chris hatte am Telefon einen etwas naiven Eindruck gemacht. Aber vielleicht besaß er einiges von den guten Manieren der Greenleafs und blieb nicht allzu lange. Tom fuhr leicht zusammen, als ihm das in den Sinn kam, denn er selbst war damals zweifellos zu lange geblieben, bei Dickie in Mongibello, und er war schon fünfundzwanzig gewesen und nicht zwanzig. Tom war aus Amerika gekommen, oder vielmehr hatte ihn Dickies Vater, Herbert Greenleaf, geschickt; er sollte Dickie nach Hause holen. Eine klassische Situation war das gewesen. Dickie hatte nicht nach Amerika zurückkehren wollen. Und Toms Naivität damals – er krümmte sich noch jetzt bei dem Gedanken daran. Was er noch alles zu lernen hatte! Und dann – nun, dann war Tom Ripley in Europa geblieben. Er hatte einiges gelernt. Er hatte ja jetzt auch etwas Geld – von Dickie –, die Mädchen mochten ihn, er kam sich sogar ein wenig verfolgt vor. Heloise Plisson war eine von denen, die ihn mochten. Und sie war, fand er, weder aus Stein noch zu orthodox oder sonstwie unangenehm. Er hatte sie nicht gebeten, ihn zu heiraten, und sie ihn auch nicht. Es war ein dunkles Kapitel in seinem Leben: dunkel und kurz. Heloise hatte eines Tages in Cannes in dem Bungalow, den sie gemietet hatten, gesagt: »Wenn wir doch zusammen leben, warum heiraten wir dann nicht? . . . Apropos, ich glaube nicht, daß Papa unser Zusammenleben noch lange dulden wird (wie hatte sie damals gesagt für ›dulden‹?); aber wenn wir verheiratet wären – ça serait un fait accompli.«
Tom hatte ganz grün ausgesehen bei der Hochzeit, obgleich es nur eine Ziviltrauung in einem Amtszimmer war, ohne Gäste.
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