Ripley Under Ground
Er hatte noch Erde übrig, und nachdem er das Grab festgetreten hatte, verstreute er den Rest überall in der Umgebung. Dann schritt er langsam, mit dem Gefühl geleisteter Arbeit, über den Rasen zurück und um das Haus herum zur Eingangstür.
In Heloises Badezimmer fand er Seifenflocken, darin wusch er den Sweater aus. Dann schlief er tief und fest bis zehn Uhr.
Tom machte sich Kaffee in der Küche und ging dann in den kleinen Zeitungsladen, wo er sich den Observer und die Sunday Times holte. Gewöhnlich blieb er irgendwo und trank eine Tasse Kaffee, während er einen Blick in die beiden Zeitungen warf, die ihm stets den Sonntag verschönten; doch heute wollte er bei der Lektüre der Derwatt-Berichte lieber allein sein. Fast hätte er vergessen, Mme. Annettes Tageszeitungen mitzunehmen, die Lokalausgabe des Parisien mit der stets in Rot gehaltenen Schlagzeile; heute war es irgendwas mit einem zwölfjährigen Kind, das jemand erwürgt hatte. Die Zeitungsplakate außen vor dem Laden, die verschiedene Zeitungen anpriesen, waren ebenso bizarr, wenn auch auf andere Art. Da stand heute:
J EANNE UND P IERRE KÜSSEN SICH WIEDER ! Wer mochte das sein?
M ARIE EMPÖRT ÜBER C LAUDE ! Nie waren die Franzosen nur verärgert; sie waren stets furieux.
O NASSIS BESORGT , MAN WERDE IHM J ACKIE STEHLEN ! Ob das wirklich irgendeinem Franzosen den Schlaf raubte?
E IN B ABY FÜR N ICOLE !
Welche Nicole, um Himmels willen? Von den meisten dieser Leute hatte Tom nie gehört und hatte keine Ahnung, ob das Filmstars, Popsänger oder so etwas waren. Aber offensichtlich verkauften sich die Nachrichten gut. Es war unvorstellbar, was am englischen Königshof vor sich ging: dreimal im Jahr standen Elisabeth und Philip unmittelbar vor der Scheidung, und bei Margaret und Tony häuften sich die Ehekrachs.
Tom legte Mme. Annettes Zeitung auf den Küchentisch und ging nach oben in sein Zimmer. Sowohl der Observer wie die Sunday Times brachten im Feuilleton sein Bild als Philip Derwatt. Auf dem einen stand sein Mund offen, weil er gerade auf irgendwelche Fragen antwortete – ganz offen, mit dem ekelhaften Bart drum herum. Hastig sah er sich die Artikel an. Er wollte sowieso nicht jedes Wort lesen.
Im Observer hieß es: ». . . erschien überraschend, nach langer Zurückgezogenheit, Mittwoch nachmittag in der Galerie Buckmaster Philip Derwatt (der einfach Derwatt genannt werden möchte). Er erzählte wenig von seinem mexikanischen Retiro, wurde aber gesprächig, als man ihm Fragen nach seiner Arbeit und der seiner Zeitgenossen stellte. Über Picasso sagte er: ›Picasso hat Perioden. Ich habe keine Perioden.‹« Auf dem Bild in der Sunday Times stand er hinter Jeffs Schreibtisch und gestikulierte mit erhobener linker Faust, eine Bewegung, an die er sich gar nicht erinnerte, aber hier war sie festgehalten. ». . . in Kleidern, die offenbar jahrelang im Schrank gehangen hatten . . . . . . hielt einer Batterie von zwölf Reportern mutig stand, was sicher nach sechs Jahren Einsamkeit nicht einfach war.« – War das ironisch gemeint? Eigentlich wohl nicht, denn der Rest des .Artikels war positiv. »Seine heutigen Bilder halten das gleiche hohe Niveau – bizarr, voller Idiosynkrasien, vielleicht sogar abnorm . . . Keines ist das Werk eines Augenblicks oder eines plötzlichen Entschlusses. Sie zeugen von Wehen der Liebe, obgleich die Technik den Eindruck von spontaner Frische und Leichtigkeit hinterläßt, die nicht mit Oberflächlichkeit zu verwechseln ist. Derwatt hat, wie er sagt, niemals weniger als zwei Wochen für ein Bild gebraucht . . .« Hatte er das gesagt? »Und er arbeitet jeden Tag, oft mehr als sieben Stunden . . . Männer, kleine Mädchen, Stühle, Tische, seltsame Dinge in Flammen gehüllt: das alles dominiert noch immer . . . Die Bilder in der Ausstellung werden zweifellos restlos verkauft werden.« Von Derwatts Verschwinden nach dem Presseempfang wurde nichts gesagt.
Es war wirklich ein Jammer, daß keine dieser Elogen auf Bernard Tufts Grabstein eingemeißelt werden konnten, wo immer der einmal stehen mochte. Tom mußte an die Zeile › Here lies one whose name was writ in water‹ denken, die er bei drei Besuchen auf dem englischen protestantischen Friedhof in Rom gelesen und die ihm jedesmal das Wasser in die Augen getrieben hatte. Es kam vor, daß ihm Tränen in die Augen traten, wenn er nur daran dachte. Vielleicht würde Bernard, der Künstler und rastlose Arbeiter, noch seine eigene Grabschrift verfassen, bevor er starb.
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