Ripley Under Ground
Polizei. Wenn Bernard im Hause blieb, so war das nicht gerade angenehm.
16
Um Viertel nach neun Uhr morgens am Samstag, dem 26. Oktober, stand Tom an seiner Glastür, die in den Garten und die Wälder hinausging, und sah den Polizisten zu, die angefangen hatten, Murchisons Grabstelle aufzugraben. Hinter ihm ging Bernard sacht und ruhelos im Zimmer auf und ab. In der Hand hielt Tom einen offiziellen Brief von Jeffrey Constant, der im Namen der Galerie Buckmaster anfragte, ob Tom wisse, wo sich Thomas Murchison aufhalte. Die Galerie wisse es nämlich nicht.
Drei Polizisten waren morgens erschienen. Zwei kannte Tom nicht, der dritte war Commissaire Delaunay, der wohl beim Graben nicht mitmachen würde. »Wissen Sie, was das für eine frisch umgegrabene Stelle ist, da drüben im Wald?« hatten sie gefragt. Nein, er wisse nichts davon, hatte Tom geantwortet. Der Wald gehöre ihm nicht. Der Gendarm war über den Rasen gegangen und hatte sich mit seinen Confrères unterhalten. Sie hatten das Haus von neuem durchsucht.
Auch von Chris Greenleaf war ein Brief gekommen, der noch ungeöffnet auf dem Tisch lag.
Es war jetzt etwa zehn Minuten her, daß die Polizisten mit dem Umgraben angefangen hatten.
Tom nahm sich Jeffs Brief noch einmal eingehend vor. Jeff hatte ihn entweder in dem Glauben geschrieben, daß Toms Briefe zensiert wurden, oder er war zum Scherzen aufgelegt gewesen, aber Tom nahm das erstere an. 24. Okt. 19-
G ALERIE B UCKMASTER Bond Street London W. 1.
Mr. Thomas P. Ripley Belle Ombre 77 Villeperce Sehr geehrter Mr. Ripley, wie wir hören, hat kürzlich Detective-Inspector Web ster Sie aufgesucht, und zwar wegen Mr. Thomas Murchison, der letzten Mittwoch mit Ihnen nach Frankreich fuhr. Wir haben seit Donnerstag 15. Oktober, als Mr.
Murchison unsere Galerie besuchte, nichts wieder von ihm gehört.
Es ist uns bekannt, daß Mr. Murchison vor seiner Rückkehr nach Amerika auch Mr. Derwatt aufsuchen wollte. Wir wissen nicht, wo sich Derwatt zur Zeit in England aufhält, aber wir werden sicher von ihm hören, bevor er nach Mexiko zurückkehrt. Es ist auch möglich, daß er mit Mr. Murchison ein Treffen vereinbart hat, von dem wir nichts wissen. (Vielleicht in der Geisterwelt, dachte Tom.) Sowohl wir wie die Polizei sind etwas in Sorge wegen des Verbleibs des Derwattschen Bildes, betitelt ›Die Uhr‹.
Wir wären Ihnen daher dankbar, wenn Sie uns, sobald Sie etwas erfahren, per R-Gespräch anriefen.
Mit freundlichen Grüßen Jeffrey Constant Selbstbewußt wandte Tom sich um, für den Augenblick in gehobener Stimmung. Bernards Schweigen fiel ihm auf die Nerven. Er hätte ihn am liebsten gefragt: »Was willst du hier eigentlich noch, du blödes Stück?« Aber er wußte zu gut, was Bernard wollte: er wartete nur darauf, noch einmal auf ihn loszugehen. Tom hielt also nur einen Augenblick den Atem an, lächelte zu Bernard hinüber, der ihn gar nicht ansah, und horchte auf die Blaumeisen, die um den Meisenring zirpten, den Mme. Annette im Baum aufgehängt hatte. Aus der Küche kamen die schwachen Klänge von ihrem Transistor, und vom Wald drüben hörte man das Klinken der Spaten, die die Polizisten in die Erde stießen.
Mit der Gelassenheit, die Jeffs Brief ausströmte, bemerkte Tom: »Na, da draußen werden sie jedenfalls keine Spur von Murchison finden.«
»Aber vielleicht im Fluß, wenn sie da suchen.« »Hast du vor, ihnen das zu sagen?«
»Nein.«
»Was für ein Fluß überhaupt? Ich weiß schon gar nicht mehr, welcher es war.« Bernard sicher erst recht nicht.
Tom wartete darauf, daß die Polizisten zurückkamen und sagten, sie hätten nichts gefunden. Vielleicht sagten sie das auch gar nicht, vielleicht sagten sie überhaupt nichts. Oder sie gingen vielleicht noch weiter in den Wald und suchten dort. Darüber mochte der ganze Tag vergehen. An einem schönen Tag war das für einen Polizisten kein übler Zeitvertreib. Zu Mittag aß man dann hier im Dorf oder in einem anderen nahen Flecken, oder noch wahrscheinlicher zu Hause, sie wohnten wohl hier in der Gegend. Und danach wurde die Arbeit wiederaufgenommen.
Tom öffnete Chris´ Brief.
24. Oktober 19- Lieber Tom, ich möchte Ihnen noch einmal herzlich danken für die hübschen Tage in Ihrem schönen Haus – ein ziemlicher Kontrast zu meiner kärglichen Unterkunft hier, aber es gefällt mir trotzdem. Gestern abend habe ich was erlebt.
In einem Café in St Germain-des-Prés lernte ich ein Mädchen kennen, Valérie hieß sie, und ich fragte sie, ob sie auf ein
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