Ripley Under Ground
machten uns jetzt auf, bevor –«
In diesem Augenblick – Tom hörte es, ohne hinzusehen – öffnete Mme. Annette die Tür zur Küche. Er ging hinüber und sagte: »Die Männer sind fort, Madame, und gefunden haben sie nichts.« Von der Grabstelle brauchte sie nichts zu erfahren.
»Merkwürdig, nicht wahr?« Es war die häufig in Frankreich anstelle von etwas Wichtigerem gebrauchte Antwort. »Ein richtiges Geheimnis ist das hier, nicht wahr?«
»Ein Geheimnis ist es höchstens in Paris oder in Orly, hier nicht«, gab Tom zurück.
»Sind Sie und M. Bernard heute mittag zum Essen hier?«
»Nein, heute nicht, wir werden mal ausgehen. Und wegen heute abend brauchen Sie sich auch keine Mühe zu machen. Wenn Mme. Heloise anruft, sagen Sie ihr doch bitte, ich riefe sie heute abend an, ja?« Er zögerte. »Nein – ich werde sie noch vor fünf heute nachmittag anrufen. Jedenfalls könnten Sie den Rest des Tages heute freinehmen.«
»Ich habe für alle Fälle Koteletts mitgebracht. Ja, ich hatte mich mit Mme. Yvonne verabredet, wir –«
»Ausgezeichnet«, unterbrach Tom. Er wandte sich an Bernard. »Wollen wir irgendwohin fahren?«
Aber sie kamen nicht sofort weg. Bernard hatte noch etwas in seinem Zimmer zu erledigen, sagte er. Mme. Annette, so nahm Tom an, verließ das Haus, vermutlich um in Villeperce mit einer Freundin zusammen zu essen. Schließlich klopfte Tom an Bernards geschlossene Tür.
Bernard saß am Tisch und schrieb.
»Wenn du lieber allein sein willst –«
»Nein, will ich nicht«, sagte Bernard und stand bereitwillig auf.
Tom wußte nicht, was er davon halten sollte. Er hätte ihn gern gefragt: ›Worüber willst du eigentlich reden? Wozu bist du hier?‹ Aber er konnte sich nicht überwinden. »Komm, laß uns runtergehen«, sagte er nur. Bernard folgte ihm.
Es war halb eins. Tom hätte gern Heloise angerufen; er hätte sie gerade noch vor dem Essen erreicht. Bei ihr zu Hause aß man immer um ein Uhr, ganz pünktlich. Als er jetzt mit Bernard ins Wohnzimmer kam, läutete das Telefon. »Vielleicht Heloise«, sagte er und nahm den Hörer auf.
»Vous êtes . . . brrlllll – ne quittez pas. Londres vous appelle . . .«
Dann war Jeff am Apparat. »Tom, hallo. Ich spreche vom Postamt aus. Könntest du – könntest du noch mal rüberkommen, hierher?«
Tom wußte, er meinte als Derwatt, nicht als Tom Ripley. »Jeff – Bernard ist hier.«
»Das haben wir uns gedacht. Wie geht´s ihm?«
»Er – er ruht sich etwas aus.« Bernard stand an der Glastür, wahrscheinlich hörte er überhaupt nicht zu, aber ganz sicher war das nicht. »Jetzt kann ich unmöglich kommen«, sagte er. War denen denn gar nicht klar, daß er schließlich Murchison umgebracht hatte?
»Könntest du nicht doch vielleicht kommen – bitte?«
»Aber ich habe hier ja auch einiges zu tun, schließlich. Was ist denn los?«
»Der Inspektor war hier. Er wollte wissen, wo Derwatt ist. Und unsere Bücher wollte er auch sehen.« Jeff mußte schlucken. Vielleicht sprach er unabsichtlich leiser, damit ihn niemand hörte, gleichzeitig aber klang die Stimme verzweifelt – als sei es ihm egal, ob ihn jemand hörte oder verstand. »Ich – Ed und ich, wir haben ein paar Listen aufgestellt. Ziemlich neue. Wir haben gesagt, unsere Abmachungen seien immer ganz formlos gewesen, und nie sei ein Bild verlorengegangen. Das hat er auch anscheinend geglaubt. Aber sie wollen eben Derwatt selber haben, und wenn du das noch einmal auf die Beine stellen könntest –«
»Das wäre sicher nicht ratsam«, unterbrach ihn Tom.
»Na, wenn du dann wenigstens unsere Bücher bestätigen könntest.«
Ach, zur Hölle mit ihren Büchern und mit ihren ganzen Einkünften, dachte Tom. Was sollte er dann sagen: der Mord an Murchison, war er dafür etwa allein verantwortlich? Und dann noch Bernard und sein Geschick! In diesem Augenblick wurde es Tom ohne Nachdenken auf einmal klar, daß Bernard sich umbringen würde. Irgendwo würde er sich das Leben nehmen. Und dann jammerten Jeff und Ed über ihre Einkünfte, ihren Ruf und die Möglichkeit, ins Gefängnis zu kommen! »Ich kann hier nicht ohne weiteres los. Im Augenblick ist es mir unmöglich, nach London zu kommen.« Und in Jeffs enttäuschtes Schweigen hinein fragte er: »Hast du eine Ahnung, ob Mrs. Murchison die Absicht hat rüberzukommen?«
»Darüber haben wir nichts gehört.«
»Laß doch Derwatt bleiben, wo er ist, das ist doch egal. Wer weiß, vielleicht hat er irgendwo einen Freund mit einem Privatflugzeug?« Tom
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