Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ripley Under Ground

Ripley Under Ground

Titel: Ripley Under Ground Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
Vom Netzwerk:
zum Atmen. Zwanzig Atemzüge voll feuchter Grabesluft, dann grub er sich weiter hinauf.
Zwei Minuten später stand er, schwankend wie ein Betrunkener neben Murchisons – und seinem eigenen – Grab, von oben bis unten mit lehmigen Erdklumpen bedeckt.
Die Dämmerung sank. Im Hause brannte kein Licht, das sah er, als er in den kleinen Fußweg stolperte. Automatisch überlegte er, wie die Grube aussah, daß man sie zuschütten mußte und wo die Schaufel sein mochte, die Bernard benutzt hatte. Ach, zum Teufel, ihm war jetzt alles egal. Immer noch wischte er sich den Schmutz aus Augen und Ohren.
Vielleicht fand er Bernard im Halbdunkel des Wohnzimmers sitzen. Dann wollte er einfach »Buh!« zu ihm sagen. Ein reichlich übler Streich war es gewesen, den Bernard ihm da gespielt hatte. Auf der Terrasse zog Tom die Schuhe aus und ließ sie dort stehen. Die Glastür war angelehnt. »Bernard!« rief er laut. Bloß jetzt nicht noch ein Überfall, das wäre wirklich zu viel.
Niemand antwortete.
Tom trat ins Wohnzimmer, wandte sich dann um und ging benommen wieder hinaus auf die Terrasse, wo er sein schmutziges Jackett und auch die Hose auf den Boden fallen ließ. In Shorts ging er nach oben ins Badezimmer. Das Bad erfrischte ihn. Er band sich ein Handtuch um den Hals. Die Wunde am Kopf blutete noch, er hatte sie nur leicht mit dem Waschlappen ausgedrückt, um den Schmutz herauszuwaschen, und versuchte jetzt, nicht mehr daran zu denken, weil er gar nichts damit tun konnte, solange er allein war. Er zog den Morgenrock an und ging nach unten in die Küche, wo er sich ein Schinkenbrot zurechtmachte und ein großes Glas Milch eingoß; beides verzehrte er am Küchentisch. Dann holte er Jackett und Hose herein und hängte sie in sein Badezimmer. Ausbürsten und zur Reinigung schicken, würde Mme. Annette streng anordnen. Wie gut, daß sie nicht hier war, doch bis zehn kam sie sicher zurück, vielleicht auch erst um halb zwölf, falls sie in Fontainebleau oder Melun ins Kino gegangen war, aber damit durfte er nicht rechnen. Jetzt war es zehn Minuten vor acht.
Was Bernard jetzt wohl unternahm? Vielleicht ließ er sich ziellos nach Paris treiben –? Daß er nach London zurückfuhr, konnte sich Tom nicht vorstellen, damit wollte er im Augenblick nicht rechnen. Aber Bernard war zur Zeit so verstört, ihm war alles zuzutrauen, er war ganz unberechenbar. Ob er zum Beispiel Jeff und Ed mitteilen würde, er habe Tom Ripley umgebracht? Er konnte allen Leuten Gott-weiß-was erzählen, das war durchaus denkbar. Daß Bernard sich umbringen würde, das spürte Tom ebenso, wie er einen Mord gespürt hätte. Selbstmord war ja auch eine Art Mord. Und damit Bernard das ausführen konnte, was er vorhatte, dazu mußte Tom weiterhin tot sein, das wußte er genau.
O Gott, wie gräßlich. Mme. Annette fiel ihm ein, Heloise, die Nachbarn, die Polizei. Wie sollte er sie davon überzeugen, daß er tot war?
Tom zog die Leinenhose an, holte die Taschenlampe aus der unteren Toilette und ging auf den Waldweg zurück. Tatsächlich, da lag die Schaufel auf dem Boden, zwischen dem vielbenutzten Grab und dem Fußweg. Er nahm sie und füllte die Grube von neuem. Hier müßte mal ein schöner Baum wachsen, dachte er dabei; die Erde ist so gut gelockert. Er schleppte auch noch ein paar der Äste und Zweige herbei, mit denen er Murchison zunächst zugedeckt hatte.
Nun ruhe in Frieden, Tom Ripley, dachte er.
Ein neuer Paß wäre wahrscheinlich nützlich, und dafür war Reeves Minot genau der richtige Mann. Hohe Zeit, daß er Reeves mal um einen kleinen Gefallen bat.
Auf der Schreibmaschine schrieb er einen kurzen Brief an Reeves und legte sicherheitshalber zwei seiner augenblicklichen Paßbilder bei. Er müßte Reeves heute abend von Paris aus anrufen. Tom hatte beschlossen, nach Paris zu fahren; dort wollte er sich für ein paar Stunden irgendwo zurückziehen und seine Lage überdenken. Er nahm daher jetzt seine schmutzverkrusteten Schuhe und Kleidungsstücke und brachte sie hinauf in den Bodenraum, wohin Mme. Annette wahrscheinlich nicht kommen würde. Dann zog er sich noch einmal um und fuhr mit dem Kombiwagen zum Bahnhof nach Melun.
Um Viertel vor elf war er in Paris. Den Brief an Reeves steckte er auf der Gare de Lyon in einen Briefkasten. Dann ging er ins Hotel Ritz und nahm ein Zimmer unter dem Namen Daniel Stevens. Seinen Paß, gab er an, habe er nicht bei sich, er schrieb eine fiktive amerikanische Paßnummer ins Hotelregister. Adresse: 14 rue du Docteur Cavet,

Weitere Kostenlose Bücher