Ripley Under Water
neugierig die neue Plane zurück und erblickte das alte, fadenscheinige, zerfallene Segeltuch und das Grauweiß der Knochen.
Belle Ombres großes Eisentor war immer noch geschlossen und innen mit einem Vorhängeschloß gesichert: Pritchard mußte in den Waldweg hinter Toms Rasen eingebogen sein, dort gehalten und das Bündel über das Gras geschleift oder getragen haben, dann über rund zehn Meter Kies, bis zu seiner Haustür. Selbstverständlich ging das auf dem Kies nicht ohne Geräusch ab, doch Madame Annette und er schliefen beide hinten im Haus.
Tom meinte, etwas Unangenehmes zu riechen, aber vielleicht war es nur der Gestank abgestandener Flüssigkeit. Oder seine Einbildung.
Vorerst war der Kombi eine gute Idee – Gott sei Dank war Madame Annette noch nicht wach. Tom ging zurück in die Diele, nahm den Schlüsselring vom Tisch, lief hinaus und öffnete den Kofferraum des Wagens. Dann faßte er mit beiden Händen fest unter die Schnüre des Bündels und hob an; er erwartete eine schwere Last.
Das verdammte Ding wog höchstens fünfzehn Kilo, auf jeden Fall unter vierzig Pfund. Und ein Teil davon war Wasser. Das Bündel tropfte, sogar als Tom damit zum weißen Kombi wankte. In der Tür hatte er einige Sekunden dagestanden, vor Verblüffung wie gelähmt. Das durfte ihm nicht wieder passieren. Tom konnte nicht unterscheiden, wo der Kopf und wo die Füße waren, als er das Bündel auf den Boden des Kofferraums wuchtete. Er stieg auf der Fahrerseite ein und zog an einem der Seile, damit er die Heckklappe schließen konnte.
Kein Blut. Ein absurder Gedanke, erkannte er sofort. Auch die Steine, die er mit Bernards Hilfe hineingelegt hatte, mußten seit langem verschwunden sein. Die Knochen waren wohl deshalb unter Wasser geblieben, weil kein Fleisch mehr daran hing. Tom schloß den Kofferraum ab, dann die hintere Tür auf der Fahrerseite. Der Wagen stand vor der Doppelgarage. Was nun? Zurück zu seinem Kaffee, ein »Bonjour« zu Madame Annette, und derweil nachdenken. Oder Pläne schmieden.
Er kehrte zur Haustür zurück. Auf der Schwelle und dem Abtreter waren Wassertropfen zu sehen. Ärgerlich, dachte Tom, aber in der Sonne würden sie bald verschwinden, bis spätestens halb zehn, wenn Madame Annette gewöhnlich einkaufen ging. Außerdem verließ und betrat sie das Haus meistens durch den Eingang zur Küche. Tom ging zum WC in der Diele und wusch sich die Hände. An seinem rechten Oberschenkel fiel ihm nasser Sand auf, den er, so gut es ging, über dem Waschbecken abbürstete.
Wann hatte Pritchard seinen Schatz gefunden? Wahrscheinlich gestern am späten Nachmittag – oder schon vormittags, auch das war natürlich möglich. Vermutlich hatte er seinen Fund im Boot versteckt. Ob er Janice davon erzählt hatte? Denkbar, warum nicht? Anscheinend enthielt sie sich jeden Urteils über richtig und falsch, pro und contra, und bestimmt über ihren Mann, sonst wäre sie jetzt nicht mehr bei ihm. Tom änderte seine Meinung: Sie war nicht weniger irre als er.
Tom ging ins Wohnzimmer. Als er sah, wie Madame Annette für sein Frühstück Toast, Butter und Orangenmarmelade auf den Couchtisch stellte, gab er sich gut gelaunt: »Wie schön! Vielen Dank. Bonjour, Madame. «
» Bonjour, Monsieur Tomme. Sie sind früh auf.«
»Wie immer, wenn ein Gast kommt, nicht?« Tom biß in seinen Toast.
Er sollte das Bündel abdecken, mit Zeitungen oder sonstwas, damit es nicht nach dem aussah, was es war – falls jemand einen Blick in den Wagen werfen sollte.
Hatte Pritchard inzwischen Teddy entlassen? Oder war dieser selber gegangen, weil er fürchtete, als Komplize in eine Sache hineingezogen zu werden, mit der er nichts zu tun hatte?
Und was glaubte Pritchard, was mit dem Bündel in Belle Ombre geschehen werde? Ob er jeden Moment mit der Polizei aufkreuzen würde und sagen: »Sehen Sie, das ist der vermißte Murchison«?
Als Tom sich das vorstellte, mußte er aufstehen, Sorgenfalten auf der Stirn, die Kaffeetasse in der Hand. Die Leiche konnte von ihm aus gleich wieder in einem Kanal verschwinden, und dann zur Hölle mit Pritchard. Selbstverständlich könnte Teddy bezeugen, Pritchard und er hätten etwas gefunden, eine Leiche, irgendeine, aber wo blieb der Beweis, daß es Murchison war?
Tom sah auf seine Uhr: sieben vor acht. Spätestens zehn vor zehn sollte er das Haus verlassen und Ed abholen. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, steckte sich eine Zigarette an und ging langsam im Wohnzimmer auf und ab. Sollte seine
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