Ripley Under Water
die Landschaft; sie starrten nur verträumt zum Fenster hinaus. Ed wußte auch Belle Ombre zu schätzen, bewunderte ausgiebig das beeindruckende Tor, dessen Flügel, bemerkte Tom lachend, nicht kugelsicher seien, und lobte die ausgewogene Architektur der Vorderfront.
»Ja. Und jetzt…« Tom parkte den Mercedes rückwärts ein, nahe der Haustür. »…muß ich dir etwas höchst Unangenehmes erzählen, das ich erst seit acht Uhr heute morgen weiß, Ed – ehrlich.«
»Das glaube ich dir.« Ed runzelte die Stirn. Er hielt den Koffer in der Hand. »Was ist es?«
»Dort in der Garage…« Tom sprach leiser, trat einen Schritt näher. »Heute morgen hat Pritchard mir die Leiche vor die Tür gelegt. Murchisons Leiche.«
Eds Miene verdüsterte sich: »Die – ? Das kann doch nicht wahr sein!«
»Ist nur noch ein Gerippe.« Fast im Flüsterton. »Meine Haushälterin weiß nichts davon, und so soll es auch bleiben. Im Kofferraum des Kombis dort drüben. Viel wiegt das Ding nicht. Aber da muß was geschehen.«
»Allerdings.« Auch Ed sprach jetzt leise. »In einen Wald schaffen und dort liegenlassen – meinst du das?«
»Weiß nicht. Ich muß nachdenken. Wollte es dir nur lieber gleich sagen.«
»Lag hier vor der Tür?«
»Genau dort.« Tom nickte zur Haustür hinüber. »Hat er im Dunkeln getan, versteht sich. In meinem Schlafzimmer hab ich nichts gehört, Madame Annette hat nichts erwähnt. Gegen sieben heute morgen hab ich es gefunden. Er muß dort von der Seite gekommen sein – vielleicht mit Teddy, seinem Helfer, doch auch allein könnte er das Ding ohne große Mühe hergebracht haben. Vom Waldweg aus. Der ist jetzt kaum zu sehen, aber befahrbar. Man kann das Auto da abstellen und von dort auf mein Grundstück gelangen.« Als er kurz zum Weg hinübersah, meinte er, schwache Abdrücke im Gras auszumachen, einen Pfad wie von menschlichen Fußabdrücken, denn das Knochenbündel war nicht so schwer, daß man es schleifen mußte.
»Teddy…«, sagte Ed nachdenklich und wandte sich halb der Haustür zu.
»Ja. Das weiß ich von Pritchards Frau – hab’s dir erzählt, glaube ich. Frage mich, ob er noch für Pritchard arbeitet oder ob unser Mann meint, die Arbeit wäre erledigt! Na gut – gehen wir ins Haus. Wir sollten etwas trinken und das gute Essen genießen. Wenn wir können.«
Tom schloß selber auf, seinen Schlüsselring hielt er noch in der Hand. Madame Annette war in der Küche beschäftigt – sie mochte sie gesehen, aber auch erkannt haben, daß sie noch kurz reden wollten.
»Hübsch hast du’s hier! Wirklich, Tom«, sagte Ed. »Schönes Wohnzimmer.«
»Willst du deinen Mantel nicht ablegen?«
Madame Annette kam herein, Tom machte die beiden bekannt. Natürlich wollte sie Eds Koffer hinauftragen. Ed leistete lächelnd Widerstand.
»Das ist hier ein Ritual«, murmelte Tom. »Komm, ich zeige dir dein Zimmer.«
Sie gingen nach oben. Madame Annette hatte eine einzelne, pfirsichgelbe Rose geschnitten, die sich in der schlanken Vase auf dem Ankleidetisch gut machte. Ed fand das Zimmer wunderbar. Tom zeigte ihm das angrenzende Bad und sagte ihm, er solle sich wie zu Hause fühlen und bald auf einen apéritif herunterkommen.
Es war kurz nach eins.
»Irgendwelche Anrufe, Madame?« fragte Tom.
» Non, Monsieur, und ich bin seit Viertel nach zehn wieder im Haus.«
»Gut«, sagte Tom gelassen und dachte: Ausgezeichnet. Pritchard würde doch sicher seiner Gattin von dem Fund erzählt haben, oder? Von seinem Erfolg? Wie sie wohl reagiert hatte, von ihrem dämlichen Gekicher abgesehen?
Er ging zu seiner CD -Sammlung, konnte sich erst nicht zwischen einer Skrjabin-Streicherkomposition (schön, aber verträumt) und Brahms’ Opus 39 entscheiden, nahm dann den Brahms – sechzehn perlende Walzer für das Klavier. Genau das brauchten sie jetzt beide; hoffentlich würden sie Ed auch gefallen. Er stellte die Musik nicht zu laut.
Dann mixte er sich einen Gin Tonic, und als er die Zitronenschalenspirale hineintat, kam Ed die Treppe herunter. Er wollte das gleiche.
Tom machte den Drink, ging dann in die Küche und bat Madame Annette, mit dem Mittagessen noch mindestens fünf Minuten zu warten.
Beide hoben die Gläser, wechselten wortlos einen Blick, in Stille, wenn Brahms nicht gewesen wäre. Tom spürte den Gin sofort, doch er nahm an, daß auch der Brahms sein Herz höher schlagen ließ: Blitzschnell folgte ein aufregender musikalischer Einfall auf den anderen, als wolle der große Komponist Eindruck schinden.
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