Ripley Under Water
Und warum nicht, bei soviel Talent?
Ed schlenderte zum Flügelfenster vor der Terrasse hinüber. »Ein schönes Cembalo! Und der Ausblick, Tom – gehört das alles dir?«
»Nein, nur bis zu der Buschreihe dort drüben. Dahinter ist der Wald. Der gehört quasi allen.«
»Und… ich mag deine Musik.«
Tom lächelte. »Gut.«
Ed kam zurück in die Mitte des Zimmers. Er trug ein frisches blaues Hemd. »Wie weit weg wohnt dieser Pritchard?« fragte er leise.
»Etwa zwei Kilometer, in diese Richtung.« Tom zeigte über die linke Schulter. »Übrigens: Meine Haushälterin versteht kein Englisch – jedenfalls glaube ich das«, fügte er lächelnd hinzu. »Oder will’s lieber glauben.«
»Irgendwoher weiß ich das noch. Wie praktisch!«
»Ja. Manchmal.«
Sie aßen kalten Braten, Hüttenkäse mit Petersilie, Madame Annettes hausgemachten Kartoffelsalat und schwarze Oliven, dazu gab es eine Flasche schönen, gut gekühlten Graves. Danach ein Sorbet. Sie gaben sich gut gelaunt, aber Tom dachte an die vor ihnen liegende Aufgabe, und Ed auch, das wußte er. Kaffee wollte keiner.
»Ich ziehe mir Levis an«, sagte Tom. »Und du? Kann sein, daß wir – hinten im Wagen auf die Knie müssen.«
Ed trug schon Bluejeans.
Tom lief nach oben und zog sich um, kam herunter, nahm sein Schweizer Taschenmesser wieder vom Tisch in der Diele und nickte Ed zu. Sie gingen durch die Haustür nach draußen. Tom vermied es, zum Küchenfenster hinüberzusehen, um nicht Madame Annettes Blick auf sich zu ziehen.
Sie gingen am braunen Renault vorbei, auf dessen Seite der Torflügel offenstand. Die Garage war ungeteilt, keine Mauer in der Mitte.
»Ist nicht allzu schlimm«, sagte Tom, so fröhlich er konnte. »Der Kopf fehlt. Was ich jetzt suche –«
»Fehlt?«
»Wahrscheinlich weggerollt, meinst du nicht? Nach drei, vier Jahren? Knorpel lösen sich auf…«
»Weggerollt – wohin?«
»Das Ding hat unter Wasser gelegen, Ed. Im Loing, einem Fluß. Vermutlich wechselt die Strömung nicht, wie in einem Kanal, aber es gibt eine Strömung. Ich will nur nach den Ringen sehen. Er hatte zwei, das weiß ich noch, und ich – ich hatte sie drangelassen. Okay, bist du bereit?«
Ed nickte. Er gab sich sichtlich Mühe, jedenfalls so zu wirken. Tom öffnete die Seitentür, und sie sahen den größten Teil der dunkelgrauen, segeltuchumhüllten Gestalt vor sich, die mit zwei Seilen umwickelt war, eines offenbar um die Hüften, das andere etwa in Kniehöhe. Was Tom für die Schultern hielt, wies im Wagen nach vorn. »Das sind die Schultern, glaube ich.« Tom zeigte darauf. »Pardon.« Er stieg zuerst ein, kroch auf die andere Seite der Leiche, damit Ed Platz hatte, und zog sein Taschenmesser hervor. »Ich will mir die Hände anschauen.« Tom säbelte an den Seilen herum, was einige Zeit brauchte.
Ed legte die Hand unter ein Ende des Bündels (das Fußende) und hob es an. »Das wiegt nicht viel!«
»Sagte ich doch.«
Tom kniete auf dem Boden des Wagens und attackierte das Seil von unten, indem er mit dem kleinen Sägeblatt seines Messers nach oben schnitt. Das Seil war neu, von Pritchard. Tom kappte es, löste das Seil und machte sich auf einiges gefaßt, denn nun hatte er die Überreste des Unterleibs vor sich. Nach wie vor nur dieser schale, feuchte Geruch, nichts, wovon einem übel werden mußte, außer man dachte darüber nach, was es war. Jetzt sah Tom, daß an der Wirbelsäule noch ein paar blasse, schwabbelige Fleischfetzen hingen. Der Bauch dagegen glich eher einer Höhle, wie zu erwarten. Die Hände, mahnte sich Tom.
Ed sah genau zu und murmelte irgendwas, vielleicht seinen Lieblingsfluch.
»Die Hände«, sagte Tom. »Tja, du siehst, warum das Ding nicht viel wiegt.«
»So etwas hab ich noch nie gesehen!«
»Wirst du auch hoffentlich nie wieder.« Tom löste Pritchards Segeltuch, dann die fadenscheinige beigebraune Plane, die überall zu zerfleddern drohte, wie die vermoderten Wickel einer Mumie.
Er fürchtete, die eine Hand könnte sich am Gelenk von Elle und Speiche lösen, doch das tat sie nicht: Es war die rechte (zufällig lag Murchison auf dem Rücken), und Tom sah sofort den schweren Goldring mit dem purpurroten Stein, an den er sich vage erinnerte – damals hatte er ihn für einen Highschool-Ring gehalten. Vorsichtig zog er ihn vom kleinen Finger ab. Der Ring saß locker, aber er wollte die feinen Fingerknöchelchen nicht mit abreißen. Tom drückte den Daumen in den Ring, um ihn zu reinigen, und steckte ihn in die
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