Ripley Under Water
sagen.
Pritchard setzte nach: »Und zwar gut. Wir kommen voran.« Pause. »Noch da? Wir –«
Tom schnitt ihn ab, indem er auflegte, allerdings sachte. Sein Herz schlug schneller als sonst; er haßte das, sagte sich aber, daß es früher zuweilen noch schneller gehämmert habe. Er lief die Treppe hinauf, nahm zwei Stufen auf einmal, um etwas von dem Adrenalin in den Adern loszuwerden.
In seinem Atelier schaltete er die Neonleuchten an, griff nach einem Stift und einem billigen Zeichenblock. Auf einem Tisch, an dem er bequem stehen konnte, skizzierte Tom zuerst die Szenerie vor dem Fenster, wie er sie kannte: die senkrecht aufragenden Bäume, die fast waagerechte Linie, wo sein Garten hinten an der Grundstücksgrenze auf hohes Gras und Gebüsch stieß. Indem er die Linien nachzog und einen interessanten Bildaufbau ausprobierte, gelang es ihm beinahe, die Gedanken an Pritchard zu verdrängen.
Tom warf den Zeichenstift hin: Der Hurensohn hatte Nerven – es war das zweite Mal, daß er sich bei ihm als Dickie Greenleaf gemeldet hatte! Das dritte Mal, wenn er den Anruf bei Héloïse mitzählte. Anscheinend arbeiteten der Mann und seine Frau in dieser Sache tatsächlich Hand in Hand.
Tom liebte sein Heim und war entschlossen, die Pritchards nicht zu einem festen Teil seines Lebens werden zu lassen.
Auf einem zweiten Blatt zeichnete er ein primitives Porträt von Pritchard – grobe Striche, dunkle, runde Brillengläser, dunkle Augenbrauen, der Mund offen, fast kreisrund, mitten im Sprechen. Nur ein angedeutetes Stirnrunzeln – der Mann war zufrieden mit dem, was er tat. Tom nahm Farbstifte, Rot für die Lippen, etwas Purpur unter den Augen, auch Grün. Insgesamt eine überzeugende Karikatur. Dennoch zog er das Blatt ab, faltete es und riß es bedächtig in kleinste Fitzel, die er dann in den Papierkorb warf. Niemand sollte so etwas finden – für den Fall, daß er Mr. Pritchard ausschalten mußte.
Dann ging Tom in sein Schlafzimmer, wo er das Telefon eingestöpselt hatte, das meistens in Héloïse’ Zimmer stand. Er überlegte, ob er Jeff anrufen sollte. In London war es gerade erst zehn.
Hatte ihn Pritchard, das Arschloch, mit seinen Quälereien schon dermaßen zermürbt, daß er zusammenbrach, verängstigt um Hilfe jammerte? Schließlich hatte Pritchard bei jener Prügelei den kürzeren gezogen, obwohl er sich auch viel stärker hätte wehren können.
Als das Telefon klingelte, fuhr er zusammen: Pritchard wahrscheinlich wieder. Tom stand noch. »Hallo?«
»Hallo, Tom. Hier ist Jeff, ich –«
»Ach, du bist’s!«
»Ja. Hatte mit Ed gesprochen – du hast ihn nicht angerufen, also wollte ich fragen, wie es bei dir aussieht.«
»Hmm… Na ja, wird ein bißchen brenzlig hier, glaube ich. Pritchard ist wieder da. In Villeperce. Und er hat sich anscheinend ein Boot gekauft. Sicher bin ich nicht. Ein kleines vielleicht, mit Außenborder. Nur eine Vermutung, weil es zugedeckt war. Lag auf einem Pick-up, als ich an seinem Haus vorbeifuhr.«
»Wirklich? Was will er damit?«
Tom hatte gedacht, das könnte Jeff erraten. »Er wird wohl die Kanäle abfischen!« Er lachte. »Mit Dreggankern, meine ich. Weiß auch nicht. Und er hat viel zu tun, bevor er was findet, da kannst du sicher sein.«
»Jetzt verstehe ich«, flüsterte Jeff. »Der Mann ist besessen, richtig?«
»Richtig«, wiederholte Tom liebenswürdig. »Allerdings hab ich ihn noch nicht auf frischer Tat ertappt. Ist aber nur klug, vorauszudenken. Ich melde mich wieder.«
»Tom, wir sind hier, wenn du uns brauchst.«
»Das bedeutet mir viel. Danke, Jeff, auch an Ed. Derweil hoffe ich, daß ein Flußkahn Pritchards Kanu trifft – und versenkt. Ha, ha!«
Alles Gute. Dann legten sie auf.
Beruhigend, zu wissen, daß Verstärkung in Sicht war, dachte Tom. Jeff Constant zum Beispiel war bestimmt stärker als Bernard Tufts damals und begriff auch schneller. Bernard hatte er Sinn und Zweck jedes Handgriffs erklären müssen, als sie Murchison aus seinem Grab hinter Toms Garten holten, so leise wie möglich und nur im Standlicht des Wagens – und später genau vorbeten müssen, was Bernard dem Kripobeamten sagen sollte (falls die Polizei einen Mann schickte, was sie dann auch tat).
Unter den jetzigen Umständen mußte sein Ziel sein, Murchisons verfaulte, in Segeltuch gehüllte Leiche unter Wasser zu halten – sofern von ihr irgend etwas übrig war.
Was genau geschah eigentlich mit einer Leiche, die vier, fünf Jahre unter Wasser lag? Die
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