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Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Titel: Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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der Tür. Ich denke, das hat er auch geschluckt.«
    Die Uhr auf dem Kaminsims schlug neun, ein leiser, heller Glockenton.
    »Doch zurück zu Reeves«, fuhr Tom fort. »Ich wollte ihm eigentlich schreiben, ich hätte Grund zu der Annahme, die Lage habe sich entspannt, doch dann zögerte ich, und zwar deshalb: Erstens könnte Reeves Ascona schon verlassen haben, und zweitens hat sich seine Lage ja nicht entspannt, wenn die Spaghettis immer noch hinter ihm her sind. Er reist jetzt als Ralph Platt, aber sie kennen seinen richtigen Namen und wissen, wie er aussieht. Falls die Mafia ihn immer noch jagt, gibt es für ihn nur noch Brasilien. Und selbst dort…« Toms Lächeln wirkte nun eher gequält.
    »Aber ist er nicht daran gewöhnt?« fragte Jonathan.
    »An so etwas? Nein. – Ich fürchte, es gibt nur ganz wenige, die sich an die Mafia gewöhnen und nicht dabei draufgehen. Vielleicht leben sie noch, doch dann nicht sehr angenehm.«
    [351]  Andererseits, dachte Jonathan, war Reeves an seiner Lage selber schuld. Und der Mann hatte ihn mit hineingezogen. Nein, er hatte sich freiwillig hineinbegeben, er hatte sich überreden lassen – gegen Geld. Und es war Tom gewesen, der ihm geholfen hatte, das Geld zu bekommen, oder es zumindest versucht hatte, auch wenn dieses tödliche Spiel von Anfang an Toms Idee gewesen war. Jonathan sprang in Gedanken zurück zu jenen Minuten im Zug zwischen München und Straßburg.
    »Tut mir wirklich leid, das mit Simone«, sagte Tom. Jonathans lange Gestalt krümmte sich über die Kaffeetasse, ein Sinnbild des Scheiterns. »Was will sie jetzt tun?«
    »Ach, sie redet von Trennung.« Jonathan zuckte die Achseln. »Natürlich will sie Georges mitnehmen. Sie hat einen Bruder in Nemours, Gérard. Ich weiß nicht, was sie ihm sagen wird. Oder ihren Eltern, die wohnen auch dort. Sie ist entsetzt, verstehst du. Und sie schämt sich.«
    »Das verstehe ich gut«, sagte Tom. Auch Héloïse schämte sich, aber sie lebte leichter mit der Doppelmoral. Héloïse wußte, daß er sich nebenbei mit Mord und Totschlag beschäftigte und auch mit anderen Verbrechen. Aber waren das wirklich Verbrechen? Zuletzt die Affäre Derwatt zum Beispiel oder nun die Sache mit der verfluchten Mafia? Er schob die Frage nach der Moral erst einmal beiseite und schnippte ein Flöckchen Asche vom Knie. Was würde Jonathan nun mit sich anfangen? Ohne Simone hätte der Mann gar keinen Kampfgeist mehr. Ob er noch einmal mit ihr reden sollte? Doch der Gedanke an das gestrige Gespräch entmutigte ihn. Tom hatte wenig Lust, es noch einmal zu versuchen.
    [352]  »Ich bin am Ende«, sagte Jonathan.
    Er fuhr fort, bevor Tom einhaken konnte: »Mit Simone bin ich am Ende, oder sie ist’s mit mir, das weißt du. Dann ist da noch die alte Frage, wieviel Zeit mir überhaupt noch bleibt. Warum es so lange hinausziehen? Also, Tom…« Er stand auf. »Falls ich dir behilflich sein kann, und sei es durch Selbstmord, brauchst du’s nur zu sagen.«
    Tom lächelte. »Brandy?«
    »Ja, einen kleinen. Danke.«
    Tom schenkte ein. »Ich habe gerade eben versucht zu erklären, warum ich glaube – wohlgemerkt: glaube  –, daß wir über den Berg sind. Jedenfalls, was die Italiener betrifft. Falls sie Reeves schnappen und foltern, stecken wir natürlich weiterhin in der Klemme. Könnte sein, daß er uns beide verrät.«
    Daran hatte Jonathan auch schon gedacht. Ihm war das schlichtweg gleichgültig, Tom aber natürlich nicht. Tom wollte am Leben bleiben. »Kann ich irgendwie helfen? Als Lockvogel? Oder als Opferlamm?« Jonathan lachte.
    »Einen Lockvogel will ich nicht«, sagte Tom.
    »Hast du nicht mal gesagt, die Mafia verlange immer einen Blutzoll?«
    Gedacht hatte er das gewiß, ob er es auch gesagt hatte, wußte er nicht. »Wenn wir nichts tun, schnappen sie Reeves womöglich und erledigen ihn«, erwiderte Tom. »Das hieße sozusagen, der Natur ihren Lauf zu lassen. Ich habe ihm diese Idee, Mafiosi umzubringen, nicht in den Kopf gesetzt, und du auch nicht.«
    Toms Gelassenheit nahm Jonathan den Wind aus den Segeln. Er setzte sich. »Und was ist mit Fritz? Hast du et [353]  was gehört? Ich erinnere mich gut an ihn.« Jonathan lächelte, wie in Gedanken an glückliche Zeiten – Fritz, der freundlich lächelnd Minots Hamburger Wohnung betrat, in der einen Hand die Mütze, in der anderen die kleine Pistole mit der großen Wirkung.
    Tom mußte kurz nachdenken, wer Fritz war: Der Laufbursche in Hamburg, Bote, Fahrer und Mädchen für alles. »Nein,

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