Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund
bleiben, bis Simone ihn hinauswarf. Er nahm seinen Mut zusammen und begann noch einmal: »Jon ist heute abend bei mir vorbeigekommen, Madame, um mit mir zu reden. Das alles belastet ihn sehr. Eine Ehe ist etwas Heiliges, das wissen Sie so gut wie ich. Sein Leben wäre zerstört, sein Lebensmut gebrochen, wenn Sie nichts mehr [357] für ihn empfänden. Das wissen Sie sicher. Und Sie sollten auch an Ihren Sohn denken. Er braucht einen Vater.«
Seine Worte ließen Simone nicht unbeeindruckt, doch sie erwiderte: »Ja, einen Vater – einen richtigen Vater, zu dem er aufschauen kann. Ganz Ihrer Meinung!«
Tom hörte Schritte auf den Stufen und warf Jonathan einen Blick zu.
»Erwartest du jemanden?« fragte der seine Frau. Wahrscheinlich hatte sie Gérard angerufen.
Sie schüttelte den Kopf: »Nein.«
Tom und Jonathan sprangen auf.
»Verriegel die Tür!« flüsterte Tom auf englisch Jonathan zu. »Frag, wer da ist.«
Wahrscheinlich ein Nachbar. Jonathan ging zur Tür. Leise schob er den Riegel vor. »Qui est-ce, s’il vous plaît?«
»Monsieur Trevanny?«
Die Stimme hatte Jonathan noch nie gehört. Er sah sich über die Schulter nach Tom um, der im Flur stand.
Sicher nicht nur einer, dachte Tom.
»Was jetzt?« fragte Simone.
Tom legte den Zeigefinger auf die Lippen und lief durch den Flur in die Küche, wo Licht brannte, ohne sich weiter um Simone zu kümmern. Sie folgte ihm. Er suchte nach etwas Schwerem. In der Gesäßtasche steckte noch immer eine der Garrotten, doch die würde er natürlich nicht brauchen, wenn der Unbekannte ein Nachbar war.
»Was tun Sie da?« fragte Simone.
Tom öffnete eine schmale gelbe Tür in einer Ecke der Küche. Ein Besenschrank. Hier fand er, was er brauchte: einen Hammer und einen Meißel, neben harmlosen Besen [358] und Schrubbern. »Hier kann ich mich vielleicht nützlich machen.« Tom nahm den Hammer in die Hand. Er rechnete mit einem Schuß durch die Tür oder mit dem berstenden Krachen, wenn sie von außen mit der Schulter eingedrückt wurde. Dann hörte er ein leises Klicken: Jonathan hatte den Riegel zurückgeschoben. War er verrückt geworden?
Sofort lief Simone mutig in den Flur hinaus. Tom hörte sie scharf nach Luft schnappen. Fußgetrampel, dann schlug die Haustür zu.
»Madame Trevanny?« Eine Männerstimme.
Simones Schrei wurde im Keim erstickt. Die schweren Schritte näherten sich der Küche.
Dann sah er Simone. Ein Dicker im dunklen Anzug schob sie in die Küche und hielt ihr mit einer Hand den Mund zu; ihre Füße schleiften über den Boden. Tom, der links von dem Mann stand, trat vor und hieb ihm den Hammer knapp unter dem Hutrand in den Nacken. Der Mann war nur angeschlagen, ließ Simone aber los, so daß Tom ihm einen Schwinger auf die Nase verpassen konnte, der ihm den Hut vom Kopf fegte. Und dann schmetterte Tom ihm den Hammer geradewegs auf die Stirn, so zielsicher wie bei einem Ochsen im Schlachthaus. Seine Beine gaben nach, und er brach zusammen.
Simone rappelte sich wieder auf. Tom zog sie in die Ekke, zur Besenkammer, die vom Flur nicht einzusehen war. Soweit er wußte, war nur noch ein weiterer Mafiamann im Haus, aber es war so still – die Garrotte? Den Hammer in der Hand, schlich Tom den Flur entlang, doch der Italiener im Wohnzimmer, der Jonathan zu Boden drückte, hörte [359] ihn trotzdem. Tatsächlich, die gute alte Garrotte! Tom sprang auf ihn zu, den Hammer hoch erhoben. Der Italiener, grauer Anzug, grauer Hut, ließ die Schlinge los und zog die Pistole aus dem Schulterhalfter, als Tom ihn am Jochbein traf. Mit dem Hammer ließ sich genauer zielen als mit einem Tennisschläger! Der Mann kam hoch, wankte auf ihn zu, Tom fegte mit der linken Hand seinen Hut weg und schlug ihm mit der Rechten den Hammer noch einmal auf den Kopf. Zack!
Die dunklen Augen des kleinen Ungeheuers schlossen sich; der Mann öffnete den rosaroten Mund und fiel um.
Tom kniete neben Jonathan. Die Nylonschnur war schon tief in seinem Hals vergraben. Tom drehte Jonathans Kopf hin und her, versuchte, die Schnur zu fassen zu bekommen und sie zu lockern. Jonathan fletschte die Zähne und griff selber danach, war aber zu schwach.
Auf einmal kauerte Simone neben ihm. In der Hand hielt sie eine Art Messer, wohl einen Brieföffner. Sie schob die Spitze unter die Schnur und zog. Die Schlinge lockerte sich.
Tom verlor das Gleichgewicht, mußte sich setzen und sprang wieder auf die Füße. Er zog die Vorhänge vor dem Küchenfenster zu; sie hatten mehr als eine
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