Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund
nicht wahr, Sir?«
[110] »Ja.« Erleichtert sank Jonathan in eine Ecke der Rückbank und spielte mit der kleinen Waffe, schob den Sicherungshebel nach vorn und nach unten. Nach vorn bedeutete entsichert, das hatte er nicht vergessen.
»Herr Minot schlug vor, hier zu halten, Sir. Der Eingang ist gleich gegenüber auf der anderen Straßenseite.« Karl öffnete Jonathans Tür, stieg aber wegen des dichten Verkehrs- und Menschengewühls nicht aus. »Herr Minot sagte, ich soll Sie um halb acht in Ihrem Hotel abholen, Sir.«
»Danke.« Als Jonathan die Wagentür zuschlagen hörte, stand er einen Augenblick lang verloren da und sah sich nach Fritz um. Den Straßenschildern zufolge befand er sich an der großen Kreuzung von »Gr. Johannisstraße« und »Rathausstraße«. Wie in Londons Piccadilly Station hatten die U-Bahn-Stationen in Hamburg offensichtlich mindestens vier Eingänge, wegen der vier Straßenarme, die hier zusammenstießen. Jonathan hielt Ausschau nach Fritz’ untersetzter Gestalt mit der Mütze auf dem Kopf. Ein Pulk von Männern, wie eine Fußballmannschaft in Mänteln, stürzte die Stufen zur U-Bahn hinunter, und dahinter kam Fritz zum Vorschein, der gelassen am eisernen Treppengeländer lehnte, und Jonathan hüpfte das Herz in der Brust, als träfe er eine Geliebte zu einem heimlichen Rendezvous. Fritz deutete auf die Treppe und ging voran.
Obwohl jetzt mehr als ein Dutzend Leute zwischen ihnen waren, behielt Jonathan die Mütze des Mannes fest im Auge. Fritz wich der Menge zur einen Seite aus. Offenbar war Bianca noch nicht erschienen, und sie mußten auf ihn warten. Ringsum ein Gewirr deutscher Stimmen, Gelächter, ein hinterhergerufenes »Wiedersehen, Max!«
[111] Ein paar Meter weiter lehnte Fritz an einer Wand. Jonathan ließ sich in seine Richtung treiben, blieb aber in sicherer Entfernung, und noch bevor er die Wand erreichte, sah er Fritz nicken und auf einen schräg gegenüberliegenden Schalter zustreben. Jonathan kaufte eine Fahrkarte. Fritz schob sich mit der Menge vorwärts. Die Fahrkarten wurden gelocht. Fritz mußte Bianca erspäht haben, aber Jonathan sah ihn noch nicht.
Ein Zug war eingelaufen. Als Fritz auf einen bestimmten Wagen zulief, rannte auch Jonathan los. In dem nur mäßig besetzten Wagen blieb Fritz stehen und hielt sich an einer senkrechten Chromstange fest. Er zog eine Zeitung aus der Manteltasche. Mit einer Kopfbewegung deutete er nach vorn, ohne Jonathan anzuschauen.
Jetzt entdeckte auch Jonathan den Italiener, der sogar näher bei ihm stand als bei Fritz; ein dunkelhaariger Mann mit kantigem Gesicht in einem eleganten grauen Regenmantel mit braunen Lederknöpfen, einen grauen Homburg auf dem Kopf, der verdrossen und gedankenverloren vor sich hin starrte. Jonathan sah wieder zu Fritz hinüber, der so tat, als wäre er in seine Zeitung vertieft, und als er seinen Blick auffing, lächelte er bestätigend und nickte.
An der nächsten Station, Meßberg, stieg Fritz aus. Jonathan blickte nur ganz kurz zu dem Italiener hinüber, der allerdings nichts zu merken schien und weiter ins Leere starrte. Wenn Bianca nun nicht am nächsten Halt den Zug verließ, sondern weiterfuhr, immer weiter, bis zu einer entlegenen Station, wo fast keiner ausstieg?
Doch als der Zug abbremste, schob sich Bianca zur Tür. Steinstraße. Jonathan hatte Mühe, dicht hinter ihm zu [112] bleiben, ohne jemanden anzustoßen. Eine Treppe führte nach oben. Gut achtzig bis hundert Leute stauten sich vor den Stufen und schoben sich dann langsam nach oben. Biancas grauer Mantel war unmittelbar vor ihm; sie hatten die Treppe beinahe erreicht. Er sah die grauen Strähnen im schwarzen Nackenhaar des Mannes, auch eine gezackte Delle im fleischigen Hals, wie von einer Furunkelnarbe.
Jonathan zog die Pistole mit der Rechten aus seiner Jakkentasche und entsicherte sie. Er schlug seinen Mantel beiseite und zielte mitten auf den Mantel des Mannes.
Die Waffe bellte auf, ein rauhes Krawummm.
Jonathan ließ sie fallen. Er war stehengeblieben und wich nun nach links zurück, während die Menge wie aus einem Mund aufschrie. Jonathan war wohl einer der wenigen, die keinen Laut von sich gaben.
Bianca war auf dem Boden zusammengesackt, die Leute bildeten einen losen Kreis um ihn.
»…Pistole…!«
»…erschossen…!«
Die Waffe lag auf dem Boden, jemand wollte sie schon aufheben, wurde aber von mindestens drei Leuten daran gehindert, sie anzufassen. Viele andere hasteten gleichgültig die Stufen hinauf.
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