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Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Titel: Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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französisch.
    »Sie haben die Kanone dabei?« fragte Reeves.
    Jonathan nickte. Bevor er seinen Koffer aus dem Hotelzimmer holte, hatte Reeves ihm eingeschärft, sie in die Manteltasche zu stecken. »Was mir auch zustößt, Sie sorgen dafür, daß meine Frau das Geld bekommt, ja!?«
    »Versprochen.« Reeves klopfte ihm auf den Arm.
    Wieder ein Pfiff, Türen schlugen zu. Jonathan stieg ein, ohne sich nach Reeves umzusehen, der ihn nicht aus den Augen lassen würde. Er fand seinen Platz, ein Achterabteil, nur zwei andere Reisende, dunkelrote Plüschpolster. Jonathan hievte den Koffer auf die Ablage, legte seinen neuen Mantel, auf links gewendet, darüber. Ein junger Mann betrat das Abteil, lehnte sich aus dem Fenster, sprach mit jemandem auf deutsch. Die anderen Mitreisenden waren ein [161]  Mann mittleren Alters, der sich in Geschäftspapiere vertiefte, und eine adrette, zierliche Frau mit einem kleinen Hut, die ein Buch las. Jonathan saß neben dem Geschäftsmann, der den Fensterplatz in Fahrtrichtung hatte. Jonathan schlug den Telegraph auf.
    Elf Minuten nach zwei.
    Draußen glitten Münchens Vororte vorbei, Bürohäuser, Kirchtürme mit Zwiebelkuppeln. Gegenüber hingen drei gerahmte Fotos: ein Schloß, ein See mit Schwänen, schneebedeckte Alpengipfel. Der Zug surrte sanft schaukelnd über die glatten Gleise. Jonathan döste, die Augen halb geschlossen, verschränkte die Hände und stützte die Ellbogen auf die Armlehnen. Er hatte noch Zeit, sich zu entscheiden, Zeit, es sich anders und noch mal anders zu überlegen. Marcangelo fuhr nach Paris, genau wie er, und der Zug würde dort erst um 23   :   07   Uhr eintreffen, mit einem Zwischenhalt in Straßburg gegen 18   :   30   Uhr. Reeves hatte das gesagt… Kurz darauf war Jonathan hellwach. Im Gang hinter der Glastür seines Abteils gingen immer wieder Leute vorbei. Jemand kam mit einem Servierwagen vorbei, zog die Abteiltür auf und bot Sandwiches, Bier und Wein an. Der junge Mann kaufte eine Flasche Bier. Im Gang stand ein untersetzter Mann und rauchte Pfeife. Gelegentlich drückte er sich gegen das Fenster, um jemanden durchzulassen.
    Es konnte nicht schaden, dachte Jonathan, wenn er an Marcangelos Abteil vorbeispazierte, so als wolle er zum Speisewagen. Nur um die Lage zu peilen. Dennoch dauerte es einige Minuten, bis er sich aufraffen konnte. Vorher rauchte er noch eine Gitane. Die Asche streifte er in dem [162]  Metallbehälter unter dem Fenster ab, wobei er darauf achtete, nichts auf die Knie des in seine Unterlagen vertieften Geschäftsmanns fallen zu lassen.
    Schließlich stand er auf und ging nach vorne. Die Tür am Ende des Wagens klemmte. Noch zwei Türen, dann hatte er Marcangelos Wagen erreicht. Jonathan ging langsam, um das sanfte, unregelmäßige Schaukeln des Zuges aufzufangen, und schaute in jedes Abteil. Marcangelo erkannte er sofort, denn der Mann saß in der Mitte und wandte ihm das Gesicht zu. Er schlief, die Hände über dem Bauch gefaltet, das Doppelkinn im Hemdkragen versunken. Der graue Streifen an seinen Schläfen zog sich schräg aufwärts nach hinten. Flüchtig nahm Jonathan zwei andere südländisch wirkende Männer wahr, die vorgebeugt dasaßen und gestikulierend aufeinander einredeten. Sonst war das Abteil leer. Er ging weiter bis ans Ende des Wagens, zündete sich noch eine Zigarette an und sah zum Fenster hinaus. An diesem Ende befand sich die Toilette, die besetzt war, wie das Rot in dem runden Türschloß anzeigte. Am Fenster gegenüber wartete ein schlanker, kahlköpfiger Mann wohl darauf, daß sie frei wurde. Ein grotesker Gedanke, hier jemanden umbringen zu wollen – die Tat würde nicht unbeobachtet bleiben. Und selbst wenn nur der Täter und sein Opfer zwischen den Wagen standen, mußte nicht jeden Moment jemand hier vorbeikommen? Laut war es im Zug ganz und gar nicht: Würde man den Schrei eines Mannes nicht im nächsten Wagen hören, selbst wenn er die Schlinge schon um den Hals hatte?
    Ein Mann und eine Frau kamen aus dem Speisewagen [163]  und traten in den Gang. Die Türen ließen sie offen. Ein Kellner in weißer Jacke schloß sie sofort wieder.
    Jonathan ging zurück zu seinem Wagen und warf einen kurzen zweiten Blick in Marcangelos Abteil. Der Mann rauchte eine Zigarette und redete, feist und fett vornübergebeugt.
    Wenn es passieren sollte, dann noch vor Straßburg, denn dort dürften viele zusteigen, die nach Paris wollten. Aber vielleicht irrte er sich auch. Jedenfalls sollte er in ungefähr einer

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