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Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Titel: Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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würde das Geld nicht annehmen, falls sie erfuhr, wie er daran gekommen war, und falls er sich im Zug erschoß, würde sie es erfahren. Ob Simone sich überreden oder überzeugen ließe, von Reeves oder sonstwem, daß ihr Mann eigentlich keinen Mord begangen hatte? Fast hätte Jonathan laut aufgelacht: ein hoffnungsloses Unterfangen. Was hatte er dann hier noch verloren? Er konnte genausogut gleich weitergehen, zurück zu seinem Platz.
    Ein Mann kam näher, Jonathan sah auf – und mußte blinzeln. Der da auf ihn zukam, war Tom Ripley.
    Tom zog die halbverglaste Tür auf und lächelte dünn. »Jonathan«, sagte er leise, »geben Sie mir bitte das Ding? Die Garrotte.« Er trat neben ihn und sah aus dem Fenster.
    Vor Schreck fühlte Jonathan auf einmal gar nichts mehr. Auf wessen Seite stand Tom Ripley? Auf Marcangelos? Er fuhr zusammen, als er drei Männer durch den Gang herankommen sah.
    [167]  Tom rückte näher an Jonathan heran, um sie durchzulassen.
    Die Männer sprachen deutsch, sie verschwanden im Speisewagen.
    Über die Schulter sagte Tom zu Jonathan: »Die Schlinge. Wir versuchen’s mit ihr, okay?«
    Jonathan verstand, zumindest zum Teil. Ripley war ein Freund von Reeves. Er kannte dessen Plan. Jonathan rollte die Garrotte in seiner linken Hosentasche fest zusammen, zog die Hand heraus und drückte die Schlinge in Toms bereitwillig ausgestreckte Hand, ohne den anderen anzusehen. Eine Last fiel von ihm ab.
    Tom steckte die Garrotte in die rechte Jackentasche. »Bleiben Sie hier, ich brauche Sie vielleicht noch.« Er ging zum WC , sah, daß es frei war, und trat ein.
    Tom verriegelte die Toilettentür hinter sich. Die Schnur der Schlinge war nicht einmal durch das Auge gefädelt. Er machte die Garrotte einsatzklar und schob sie vorsichtig wieder in die rechte Jackentasche, ein leises Lächeln auf den Lippen: Kreidebleich war Jonathan geworden! Vorgestern hatte Tom Reeves Minot angerufen, und der hatte ihm gesagt, Jonathan werde kommen, aber wahrscheinlich die Pistole nehmen wollen. Die dürfte er jetzt dabeihaben. Tom würde sich unter solchen Umständen niemals für eine Schußwaffe entscheiden.
    Er trat auf das Pedal, hielt die Hände unter das Wasser, schüttelte sie und fuhr sich mit den nassen Händen über das Gesicht. Nun wurde auch er ein bißchen nervös. Zum erstenmal gegen die Mafia!
    Er hatte befürchtet, Jonathan könne den Auftrag [168]  verpatzen, und da er ihn in die Sache hineingeritten hatte, fand er, nun solle er auch versuchen, ihm wieder herauszuhelfen. Also war Tom am Tag zuvor nach Salzburg gefahren und hatte dort einige Stunden zuvor den Zug bestiegen. Er hatte Reeves, wenn auch eher beiläufig, nach Marcangelos Aussehen gefragt; er glaubte nicht, daß Reeves ihn im Zug vermuten würde. Im Gegenteil: Tom hatte Reeves erklärt, er halte seinen Plan für schwachsinnig, es wäre besser, er ließe Jonathan mit der Hälfte des Geldes vom Haken und suchte sich jemand anders für den zweiten Auftrag, wenn die Sache gutgehen sollte. Aber Reeves doch nicht. Der Mann war wie ein kleiner Junge; er spielte ein Spiel, das er selbst erfunden hatte, ein besessenes Spiel mit strengen Regeln – streng für andere wenigstens. Tom wollte Jonathan helfen, noch dazu in einer noblen Sache: einen Mafioso zu töten, ein großes Tier! Vielleicht sogar zwei dieser Typen!
    Tom haßte die Mafia, er haßte ihre Kredithaie und Erpresser, ihre gottverdammten Kirchgänger und Feiglinge, die jede dreckige Arbeit den Handlangern überließen, so daß ihre großen Tiere, die richtigen Hurensöhne, für die Behörden unantastbar blieben und niemals hinter Gitter landeten, außer sie wurden wegen Kleinigkeiten wie Steuerhinterziehung verurteilt. Im Vergleich zur Mafia hielt Tom sich für fast tugendhaft. Bei dem Gedanken mußte er laut loslachen; sein Lachen hallte in dem winzigen, mit Metall und Fliesen ausgekleideten Raum wider. (Er wußte nur zu gut, daß er womöglich Marcangelo gerade draußen vor der Tür warten ließ.) Ja, es gab Menschen, die unehrlicher, verdorbener und entschieden erbarmungsloser waren [169]  als er, nämlich die Mitglieder der Mafia, jener charmante, zerstrittene Haufen von Familienclans, den es laut der Italienisch-Amerikanischen Liga gar nicht wirklich gab, sondern nur in der Phantasie von Romanschreibern. Ja, selbst die Wunder der katholischen Kirche mit den Bischöfen, die beim Fest von San Gennaro das Blut fließen ließen, und mit den kleinen Mädchen, denen die Jungfrau Maria

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