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Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Titel: Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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Bank Ihnen schon geschrieben?« Nein, doch womöglich war der Brief heute morgen im Laden angekommen. Ob Simone ihn aufmachen würde? Das Risiko war fünfzig zu fünfzig, je nachdem, wieviel sie zu tun hatte. Der Brief aus der Schweiz würde eine Bestätigung seines Guthabens von achtzigtausend D-Mark enthalten, dazu wahrscheinlich Karten für Unterschriftsmuster. Vermutlich würde auf dem Umschlag kein Absender stehen, nichts, was ihn als Bankschreiben auswies. Da er am Samstag heimreisen wollte, öffnete Simone seine Post vielleicht nicht. Fünfzig zu fünfzig, dachte er wiederum und glitt sanft in den Schlaf.
    [158]  Am nächsten Morgen, im Krankenhaus, kam ihm die Atmosphäre zugleich streng bürokratisch und seltsam formlos vor. Reeves war die ganze Zeit dabei, und obwohl nur deutsch gesprochen wurde, merkte Jonathan, daß er Dr.   Schröder nichts von der vorherigen Untersuchung in Hamburg sagte. Der Hamburger Bericht war zu Händen von Dr.   Perrier nach Fontainebleau gegangen, und der dürfte ihn inzwischen, wie versprochen, an das Labor EbberleValent weitergeschickt haben.
    Auch hier sprach die Schwester perfekt Englisch. Dr.   Max Schröder war um die Fünfzig. Das schwarze Haar fiel ihm nach der neuen Mode bis auf den Hemdkragen.
    »In seinen Augen«, sagte Reeves, »ist es ein mehr oder weniger klassischer Fall – die Prognose ist nicht gerade rosig.«
    Nein, nichts war neu für Jonathan, nicht einmal daß er das Untersuchungsergebnis am nächsten Morgen erfahren würde.
    Es war fast elf, als Jonathan und Reeves das Krankenhaus verließen. Sie gingen am Isarufer entlang: Mütter mit Kinderwagen, Häuser, eine Apotheke, ein Lebensmittelladen – all die Bestandteile eines Lebens, dem Jonathan sich an diesem Morgen ganz und gar nicht zugehörig fühlte. Selbst zum Atmen mußte er sich zwingen. Ein Tag des Scheiterns, dachte er. In den Fluß wollte er springen, ertrinken vielleicht oder zum Fisch werden. Minots Gegenwart, sein gelegentliches Gerede ärgerten ihn. Schließlich gelang es ihm, den Mann auszublenden. Heute würde er niemanden umbringen, weder mit der Schnur in seiner Tasche noch mit der Pistole.
    [159]  »Sollte ich nicht meinen Koffer holen«, unterbrach er Reeves, »wenn der Zug zwei Uhr soundsoviel fährt?«
    Sie nahmen ein Taxi.
    Ein Schaufenster, gleich neben dem Hotel, glitzerte in Gold und Silber, wie ein deutscher Weihnachtsbaum. Jonathan zog es dorthin. Die Auslage bestand zu seiner Enttäuschung vor allem aus Nippes für Touristen, doch dann bemerkte er ein Gyroskop, das schräg gegen seine würfelförmige Schachtel lehnte.
    »Ich will meinem Sohn etwas kaufen«, sagte er und betrat das Geschäft. Er zeigte auf das Gyroskop, sagte: »Bitte« und kaufte das Gerät, ohne auf den Preis zu achten. Morgens hatte er im Hotel zweihundert Franc umgetauscht.
    Jonathan hatte schon gepackt, er mußte nur noch den Koffer zuklappen. Dann trug er ihn selbst hinunter. Reeves drückte ihm einen Hundertmarkschein in die Hand und bat ihn, die Rechnung zu bezahlen, weil es komisch wirken könne, wenn er das für ihn tue. Geld bedeutete Jonathan nichts mehr.
    Sie waren zu früh am Bahnhof. In der Gaststätte wollte Jonathan nichts zu essen, nur einen Kaffee.
    Also bestellte Reeves Kaffee. »Jonathan, den Augenblick müssen Sie selber abpassen, das ist mir klar. Kann sein, daß es nicht klappt, das weiß ich, aber diesen Mann wollen wir wirklich erwischen… Bleiben Sie in der Nähe vom Speisewagen, zum Beispiel am Ende des nächsten Waggons, rauchen Sie eine Zigarette…«
    Jonathan trank noch einen Kaffee. Reeves kaufte ihm den Daily Telegraph und ein Taschenbuch für die Fahrt.
    [160]  Dann rollte der Zug ein, ruckelte leise über die Schienen, glänzend und graublau: der Mozart-Expreß. Reeves sah sich nach Marcangelo um, der hier mit mindestens zwei Leibwächtern zusteigen sollte. Mehr als fünfzig Leute stiegen ein, ebenso viele aus. Jonathan stand, den Koffer in der Hand, vor dem Wagen, wo laut Fahrschein sein Platz war. Reeves packte ihn am Arm, zeigte auf jemanden und Jonathan glaubte die drei zu sehen, die Minot meinte: drei gedrungene Männer mit Hüten, die zwei Wagen vor ihm den Zug bestiegen.
    »Er ist’s. Ich hab sogar seine grauen Schläfen gesehen«, sagte Reeves. »Und wo ist der Speisewagen?« Er trat zurück, um besser sehen zu können, lief am Zug entlang nach vorne, kam wieder zurück. »Vor dem von Marcangelo.«
    Der Lautsprecher verkündete die Abfahrt des Zuges, diesmal auf

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