Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund
Wagens.
Tom sah nicht auf, während der Italiener durch den Wagen ging, spürte aber den Blick des Mannes. Nun riskierte er, über die Schulter zu schauen, wie jemand, der auf sein Essen wartet, und sah den Leibwächter – dunkelblondes Kraushaar, Nadelstreifenanzug, breiter lila Schlips – am [178] Ende des Wagens mit einem Kellner reden. Der Kellner, der viel zu tun hatte, schüttelte den Kopf und zwängte sich mit dem Tablett an ihm vorbei. Der Leibwächter eilte den Gang zwischen den Tischen wieder zurück und stürmte hinaus.
Toms Suppe kam, rot wie Paprika, dazu das Bier. Er hatte Hunger, denn in seinem Salzburger Hotel (diesmal nicht der Goldene Hirsch, dort kannte man ihn) hatte er nicht richtig gefrühstückt. Statt nach München war er nach Salzburg geflogen, weil er keine Lust hatte, im Bahnhof Minot oder Jonathan über den Weg zu laufen. In Salzburg hatte er Zeit gefunden, für Héloïse eine grüne Lederjacke zu kaufen, die er bis zu ihrem Geburtstag im Oktober verstecken wollte. Héloïse hatte er gesagt, er fahre nach Paris, bleibe ein, zwei Nächte und wolle sich ein paar Ausstellungen anschauen. Sie hatte sich nicht gewundert, weil er das nicht zum erstenmal tat; er stieg dann im Intercontinental, im Ritz oder im Pont Royal ab. Tom wechselte die Hotels im Grunde nur, damit Héloïse sich nicht beunruhigte, wenn er ihr die Fahrt nach Paris lediglich vortäuschte und sie ihn zum Beispiel im Intercontinental telefonisch nicht erreichen konnte. Außerdem hatte er seine Fahrkarte in Orly gekauft, nicht in den Reisebüros in Fontainebleau oder Moret, wo man ihn kannte, und dabei den gefälschten Paß benutzt, den Reeves ihm letztes Jahr besorgt hatte: Robert Fiedler Mackay, Amerikaner, Ingenieur, geboren in Salt Lake City, ledig. Ihm war nämlich eingefallen, daß die Mafia mit ein bißchen Mühe an die Passagierliste des Zuges herankommen könnte. Vielleicht stand er ja bei der Mafia auf der Liste interessanter Leute? [179] Das wäre in Toms Augen der Ehre zuviel; womöglich hatte aber einer aus der Marcangelo-Familie damals seinen Namen in der Zeitung gelesen und sich gemerkt, nicht als vielversprechendes Material für eine Rekrutierung oder Erpressung, jedoch als ein Mann, der in der Grauzone des Gesetzes lebte.
Dieser Leibwächter aber, dieser Fußsoldat der Mafia, hatte dem gutgebauten jungen Mann in der Lederjacke am Tisch gegenüber von Tom einen längeren Blick geschenkt als ihm. Vielleicht war ja alles in Ordnung.
Jonathan Trevanny brauchte jetzt ein bißchen Aufmunterung. Sicher nahm der Mann an, er wolle sein Geld, wolle ihn irgendwie erpressen. Tom dachte daran, was Jonathan für ein Gesicht gemacht hatte, als Tom zwischen den Wagen an ihn herangetreten war, und mußte auflachen (da er immer noch die Zeitung vor Augen hatte, könnte er allerdings ebensogut Art Buchwalds Kolumne gelesen haben), auch über den komischen Moment, als Jonathan begriff, daß er ihm helfen wollte. In Villeperce war Tom in sich gegangen und hatte beschlossen, Jonathan bei dem unschönen Erdrosseln zur Hand zu gehen, damit der Mann wenigstens das versprochene Geld bekam. Im Grunde empfand Tom etwas wie Scham, weil er Jonathan die Suppe eingebrockt hatte; insofern trug er mit der Hilfe einen Teil seiner Schuld ab. Und wenn alles gutging, dann hätte der Engländer sogar Glück gehabt und wäre viel glücklicher, fand Tom, der an positives Denken glaubte: Nicht das Beste hoffen – das Beste denken, dann würde sich alles zum Besten wenden, so lautete sein Credo. Bei einem erneuten Treffen würde er Jonathan einiges erklären müssen, vor [180] allem aber mußte sich der Mann den Mord an Marcangelo alleine gutschreiben lassen, damit er von Minot das restliche Geld bekam. Entscheidend war, daß man Trevanny und ihn nicht als dicke Freunde sah, ja, daß sie auch keine Freunde wurden. (Wie es Jonathan wohl gerade erging, wenn der zweite Leibwächter den ganzen Zug absuchte?) Die gute alte Mafia würde alles daransetzen, den oder die Killer zu finden. Oft brauchte das Jahre, doch die gaben niemals auf. Selbst wenn der Gesuchte nach Südamerika floh, konnten sie ihn noch erwischen. Tom wußte das, aber im Augenblick schien ihm Reeves Minot in größerer Gefahr zu schweben als Jonathan oder er selber.
Morgen früh würde er versuchen, Trevanny im Laden anzurufen. Oder morgen nachmittag, falls der Mann Paris heute nicht mehr erreichte. Tom steckte sich eine Gauloise an und betrachtete die Frau im roten Tweedkostüm,
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