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Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Titel: Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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Marcangelos Zunge trat zwischen den widerlich feuchten Lippen hervor, er schloß verzweifelt die Augen, riß sie dann angsterfüllt wieder auf, nun schon mit dem leeren Blick des Sterbenden, der fragte: Was geschieht mit mir? Seine Unterkieferprothese fiel klirrend auf die Fliesen. Fast hätte sich Tom an Daumen und Zeigefinger geschnitten, so stark zog er an der Schnur, doch diesen Schmerz hielt er gerne aus. Marcangelo war auf dem Boden zusammengesackt, wurde aber von der Garrotte, oder besser von Tom, in einer mehr oder weniger sitzenden Stellung gehalten. Inzwischen mußte der Mann bewußtlos sein; atmen konnte er bestimmt nicht mehr. Tom hob die falschen Zähne auf, warf sie ins Klo und schaffte es irgendwie, auf das Pedal zu treten, das die Schüssel leerte. Angewidert wischte er sich die Finger an den gepolsterten Schultern von Marcangelos Jackett ab.
    Jonathan hatte gesehen, wie der Riegel von Grün auf Rot umsprang. Die Stille erschreckte ihn. Wie lange noch? Was ging da vor? Wie lange schon? Immer wieder spähte er durch die Glashälfte der Tür in den Wagen dahinter.
    Ein Mann kam aus dem Speisewagen, hielt auf das WC zu und ging weiter in den Wagen, als er sah, daß besetzt war.
    Jonathan dachte, wenn sich Marcangelos Rückkehr ins Abteil nur ein wenig verzögerte, würden sofort seine Begleiter hier auftauchen. Jetzt war die Luft gerade rein, sollte er anklopfen? Marcangelo dürfte genug Zeit zum [173]  Sterben gehabt haben. Jonathan trat an die Tür und klopfte zweimal.
    Gelassen kam Tom heraus, schloß die Tür und sah sich um. In diesem Moment strebte eine kleine Frau mittleren Alters in einem roten Tweedkostüm aus dem Gang auf die Toilettentür zu, deren Riegel nun auf Grün stand.
    »Tut mir leid«, sagte Tom auf deutsch, »aber ich fürchte, da drinnen ist jemand – ein Freund von mir. Ihm ist übel.«
    »Bitte?«
    »Mein Freund ist da drinnen ziemlich krank«, fuhr Tom mit einem bedauernden Lächeln fort. »Entschuldigen Sie, gnädige Frau. Er kommt gleich heraus.«
    Sie nickte, lächelte und kehrte in den Wagen zurück.
    »Okay, und jetzt fassen Sie mit an!« flüsterte Tom Jonathan zu, schon halb in der Toilette.
    »Da kommt noch jemand!« sagte Jonathan. »Einer der Italiener.«
    »Herrje!« fluchte Tom. Womöglich würde der Mann einfach vor der Tür warten, wenn er hineinging und die Tür verriegelte.
    Der Italiener, ein blasser Bursche von ungefähr dreißig, warf Jonathan und Tom einen langen Blick zu, sah, daß die Toilette laut Anzeige frei war, und ging weiter in den Speisewagen, sicher weil er Marcangelo dort wähnte.
    Tom sagte zu Jonathan: »Können Sie ihm mit der Kanone eins überziehen, wenn ich ihn vorher niederschlage?«
    Jonathan nickte. Die Pistole war zwar klein, doch spürte er endlich das Adrenalin in seinen Adern.
    »So als ginge es um Ihr Leben«, fuhr Tom fort. »Stimmt vielleicht sogar.«
    [174]  Der Leibwächter kam aus dem Speisewagen zurück. Er ging jetzt schneller. Tom stand links von ihm. Plötzlich packte er den Mann am Hemdkragen, zog ihn beiseite, so daß er durch die Tür zum Speisewagen nicht zu sehen war, und versetzte ihm einen Kinnhaken, gefolgt von einem Schwinger in den Bauch. Jonathan schlug ihm den Pistolenkolben auf den Hinterkopf.
    »Die Tür!« Tom wies mit dem Kopf darauf, während er versuchte, den zusammensackenden Mann zu fassen zu bekommen.
    Dieser war noch bei Bewußtsein, ruderte schwach mit den Armen, Jonathan aber hatte die Zugtür bereits aufgerissen. Instinktiv wollte Tom den Mann hinauswerfen, ohne sich noch mit einem weiteren Schlag aufzuhalten. Das dröhnende Rattern der Zugräder sprang sie an. Sie wuchteten den Leibwächter nach draußen, schoben, drückten und traten; Tom verlor das Gleichgewicht und wäre hinausgefallen, hätte Jonathan ihn nicht an den Jackettschößen festgehalten. Die Tür krachte wieder zu.
    Jonathan fuhr sich mit den Fingern durch das zerzauste Haar.
    Tom bedeutete ihm, zur anderen Seite hinüberzugehen, um den Gang im Auge zu behalten. Jonathan tat wie geheißen. Er hatte sichtlich Mühe, sich zu fassen und wieder wie ein normaler Reisender zu wirken.
    Tom hob fragend die Augenbrauen, Jonathan nickte, Tom drückte sich schnell in die Toilette und verriegelte die Tür. Er mußte darauf vertrauen, daß Jonathan mitdenken und klopfen würde, wenn keine Gefahr drohte. Marcangelo lag wie ein nasser Sack auf dem Boden, den Kopf neben dem [175]  Pedal der Spülung, das Gesicht kreidebleich, schon mit einem

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