Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund
die Trevanny und er vor der Toilette gesehen hatten: Verträumt verspeiste sie einen offenbar köstlichen Blattsalat mit Gurken. Tom war in Hochstimmung.
Als Jonathan in Straßburg ausstieg, meinte er dort mehr Polizisten als gewöhnlich zu sehen, sechs oder sieben statt der üblichen zwei oder drei. Einer überprüfte gerade den Ausweis eines Reisenden. Oder hatte der Mann nur nach dem Weg gefragt, und der Beamte schlug nun irgendwo nach? Jonathan verließ den Bahnhof auf geradestem Wege, den Koffer in der Hand. Er hatte beschlossen, die Nacht in Straßburg zu verbringen, das ihm an diesem Abend sicherer schien als Paris. Warum, wußte er auch nicht. Der zweite Leibwächter war wahrscheinlich nach Paris weitergefahren, zu seinen Kumpanen – wenn nicht alles ganz [181] anders kam und der Mann ihm gerade in diesem Augenblick auf den Fersen war, um ihm eine Kugel in den Rücken zu jagen. Jonathan brach der Schweiß aus, auf einmal fühlte er sich wie erschlagen. An einer Kreuzung setzte er den Koffer ab und warf einen Blick auf die fremden Gebäude ringsum. Überall Fußgänger und Autos. Es war zwanzig vor sieben, sicher die Straßburger Hauptverkehrszeit. Ob er im Hotel einen falschen Namen angeben sollte? Wenn er einen falschen Namen eintrug, dazu eine falsche Ausweisnummer, würde niemand nach seinem richtigen Ausweis fragen. Doch dann dachte er, daß ein falscher Name ihn noch mehr verunsichern würde. Jonathan wurde klar, was er getan hatte. Fast hätte er sich übergeben. Er nahm den Koffer und schleppte sich weiter. Die Waffe in seiner Manteltasche wog schwer, doch schreckte er davor zurück, sie in einen Gully oder Abfalleimer zu werfen. Jonathan sah sich schon den weiten Weg nach Paris zurückfahren, sah sich sein Haus betreten, die kleine Pistole noch immer in der Tasche.
[182] 12
In Paris holte Tom den grünen Renault Kombi, den er nahe der Porte d’Italie hatte stehenlassen, und erreichte Belle Ombre kurz vor eins in der Nacht zum Samstag. Vorn war das Haus dunkel, aber als er mit dem Koffer in der Hand die Treppe hinaufging, sah er zu seiner Freude, daß in Héloïse’ Zimmer hinten links noch Licht brannte. Er trat ein und begrüßte sie.
»Endlich! Wie war Paris? Was hast du gemacht?« Héloïse trug einen grünen Seidenpyjama und steckte bis zur Taille unter einer rosa Satindaunendecke.
»Ach, vorhin hab ich mir einen schlechten Film angeschaut.« Sie las das Buch über die sozialistische Bewegung in Frankreich, das er ihr gekauft hatte. Was das Verhältnis zu ihrem Vater nicht gerade verbessern würde, dachte Tom. Héloïse vertrat oft radikal linke Grundsätze, hatte jedoch gar keine Lust, danach zu leben. Tom meinte allerdings zu bemerken, daß sie sich von ihm langsam immer weiter nach links schieben ließ. Mit der einen Hand schieben, mit der anderen nehmen…
»Hast du Noëlle getroffen?« fragte Héloïse.
»Nein, warum?«
»Sie hat ein Essen gegeben, heute abend, glaub ich, und brauchte noch einen Tischherrn. Natürlich hatte sie uns [183] beide eingeladen. Ich sagte, du wärst wahrscheinlich im Ritz, sie solle dich dort anrufen.«
»Diesmal war ich im Crillon.« Héloïses angenehmer Duft stieg ihm in die Nase, eine Mischung aus Eau de Cologne und Nivea. Und sein eigener, unangenehmer Geruch nach der Bahnfahrt. »Geht’s dir gut?«
»Mir geht’s wunderbar.« Wie sie es sagte, klang es verführerisch, doch er wußte, daß sie es nicht so meinte: Sie hatte einen schönen, ganz gewöhnlichen Tag hinter sich und war glücklich, das meinte sie.
»Ich brauche eine Dusche. Bin gleich wieder da.« Tom ging in sein Zimmer und nahm eine richtige Dusche in der Badewanne, nicht in der Telefonzellenkabine in Héloïses Badezimmer.
Kurz darauf – Héloïses Lederjacke lag sicher versteckt unter Pullovern ganz unten in einer Schublade – döste er neben Héloïse im Bett, zu müde, um weiter im Express zu blättern. Er fragte sich, ob das Magazin wohl nächste Woche ein Foto von einem der Mafiosi am Bahndamm bringen würde, vielleicht auch von beiden. War der Leibwächter tot? Tom hoffte inständig, er möge irgendwie unter die Räder geraten sein; der Mann war wohl leider noch nicht tot gewesen, als sie ihn hinausgeworfen hatten. Tom dachte daran, wie Jonathan ihn zurück in den Zug gezogen hatte, als er hinauszufallen drohte. Bei der Erinnerung schloß er die Augen und verzog das Gesicht: Der Mann hatte ihm das Leben gerettet oder ihn zumindest vor einem fürchterlichen Fall
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