Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund
nicht dichthielt… Aber Tom konnte sich nicht vorstellen, daß Jonathan irgendwem erzählen würde, Tom sei als sein Helfer mit ihm im Zug gewesen. Jonathan würde das wohl nie zu sagen brauchen und es auch aus Prinzip nicht tun. Wie kam man auf einmal zu rund zweiundneunzigtausend Dollar? Das war das Problem. Das war die Frage, die Simone Jonathan stellte.
»Wir müßten noch etwas draufsatteln«, sagte Tom schließlich.
»Was meinen Sie?«
»Der Summe, die Ihnen die Ärzte ursprünglich gezahlt hätten, noch etwas hinzufügen… Wie wär’s mit einer Wette: Ein Arzt hat mit einem Kollegen in Deutschland gewettet, und beide haben das Geld bei Ihnen deponiert, als eine Art Treuhandfonds… Ich meine, das Geld ist Ihnen nur anvertraut. Damit wären dann, sagen wir, fünfzigtausend Dollar erklärt, mehr als die Hälfte. Oder rechnen Sie in Franc? Hmmm… das dürften mehr als zweihundertfünfzigtausend Franc sein.«
Jonathan lächelte. Die Idee war amüsant, wenn auch eher abwegig. »Noch ein Bier?«
»Klar.« Tom zündete sich eine Gauloise an. »Also gut. Sie könnten Simone sagen, die Wette sei Ihnen zu zynisch oder grausam oder sonstwas vorgekommen, deshalb hätten Sie ihr nichts davon erzählen wollen. Und die Ärzte haben eine Wette auf Ihr Leben laufen. Der eine wettet, Sie bleiben am Leben – zum Beispiel für die normale Lebensdauer. Dann hätten Sie und Simone etwas mehr als zweihunderttausend Franc eigenes Geld übrig. Ich hoffe [248] übrigens, Sie haben sich davon schon das eine oder andere gegönnt?«
Ein hektischer Barkeeper stellte Tom eilig ein neues Glas und eine Flasche hin. Jonathan trank schon sein zweites Bier.
»Wir haben uns ein Sofa gekauft. Das brauchten wir dringend«, sagte Jonathan. »Einen Fernseher könnten wir uns auch noch leisten. Ihre Idee ist immerhin besser als nichts. Danke.«
Ein untersetzter Mann um die Sechzig begrüßte Jonathan mit einem kurzen Händedruck und ging weiter nach hinten, ohne Tom anzusehen. Der beobachtete zwei blonde Mädchen, die an einem Tisch saßen; davor standen junge Männer in ausgestellten Jeans und redeten auf sie ein. Ein fetter, alter, dünnbeiniger Hund an der Leine sah traurig zu Tom auf, während er auf sein Herrchen wartete, der einen petit rouge trank.
»Haben Sie in letzter Zeit von Reeves gehört?« fragte Tom.
»In letzter Zeit? Nein, seit etwa vier Wochen nicht.«
Dann wußte Jonathan also nichts von der Bombe in Reeves’ Wohnung. Tom sah keinen Grund, ihm davon zu erzählen. Es würde ihn nur verunsichern.
»Und Sie? Geht es ihm gut?«
»Keine Ahnung«, sagte Tom beiläufig, als wären Briefe oder Anrufe von Reeves eine seltene Ausnahme. Auf einmal war ihm unbehaglich, er fühlte sich beobachtet. »Gehen wir, ja?« Er winkte dem Barmann und gab ihm zwei Zehnfrancscheine, obwohl Jonathan seine Brieftasche schon gezückt hatte. »Mein Wagen steht gleich draußen rechts.«
[249] Auf dem Gehweg begann Jonathan verlegen: »Und Sie, bei Ihnen alles in Ordnung? Keine Ängste, keine Sorgen?«
Sie standen neben Toms Wagen. »Einer wie ich macht sich immer Sorgen. Hätten Sie nie gedacht, oder? Ich male mir das Schlimmste aus, bevor es passiert. Nicht ganz dasselbe wie ein Pessimist.« Tom lächelte. »Wollen Sie nach Hause? Ich kann Sie mitnehmen.«
Jonathan stieg ein.
Kaum hatte Tom die Wagentür hinter sich geschlossen, überkam ihn ein Gefühl angenehmer Abgeschiedenheit, so als säßen sie in einem Zimmer seines Hauses. Doch wie lange war sein Haus noch sicher? Das unangenehme Bild der allgegenwärtigen Mafia tauchte vor ihm auf, schwarze Kakerlaken, die von überall herkamen und überall hinflitzten. Falls er flüchtete, falls er Héloïse und Madame Annette vorher aus dem Haus schickte oder mitnahm, würde die Mafia Belle Ombre womöglich in Brand stecken. Er stellte sich das Cembalo vor, brennend oder von einer Bombe in Stücke gerissen, und mußte sich eingestehen, daß er sein Zuhause so liebte, wie das sonst nur Frauen taten.
»Sollte dieser Leibwächter, der zweite der beiden, mein Gesicht wiedererkennen, bin ich in größerer Gefahr als Sie. Die Zeitungen haben damals ein paar Fotos von mir gebracht, das ist das Problem.«
Jonathan wußte das. »Tut mir leid, daß ich Sie um dieses Treffen gebeten habe. Es ist nur, ich mache mir schreckliche Sorgen wegen meiner Frau. Weil nämlich – wie wir beide uns vertragen, ist mir das Wichtigste im Leben. Sehen Sie, zum ersten Mal überhaupt habe ich versucht, sie in
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