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Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Titel: Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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Saint-Honoré Kleider zu Sonderpreisen anbot; sicher würde sie auch noch einen Schal oder etwas Größeres von Hermès mitbringen. Er saß am Cembalo, spielte das Thema einer GoldbergVariation und versuchte, sich den Fingersatz einzuprägen. Am selben Tag, als er in Paris das Cembalo erstand, hatte er noch ein paar Notenhefte gekauft. Er wußte, wie die Variation klingen mußte, denn er besaß eine Platte mit der Einspielung der Landowska. Gerade ging er das Thema zum dritten- oder viertenmal durch und merkte gewisse Fortschritte, da klingelte das Telefon.
    »Hallo?« sagte Tom.
    »’allo, äh, mit wem spreche ich, bitte?« fragte ein Mann auf französisch.
    Unbehagen beschlich Tom, jedoch langsamer als sonst. »Wen wünschen Sie zu sprechen?« fragte er ebenso höflich zurück.
    »Monsieur Anquetin?«
    »Nein, der wohnt hier nicht.« Tom hängte auf.
    Der Mann hatte akzentfreies Französisch gesprochen. [242]  Oder doch nicht? Andererseits würden die Italiener für so einen Anruf sicher einen Franzosen oder einen Italiener ohne jeden Akzent nehmen. War er schon überängstlich? Tom runzelte die Stirn, drehte sich um, sah über das Cembalo hinweg zum Fenster hinaus und schob die Hände in die Gesäßtaschen. Vielleicht hatte die Genotti-Familie Reeves in seinem Hotel aufgestöbert und überprüfte nun sämtliche Nummern, die er angerufen hatte? Wenn ja, würde sich der Anrufer mit einer solchen Antwort nicht zufriedengeben. Jeder andere hätte gesagt: »Falsch verbunden, hier ist Soundso.« Sonnenlicht sickerte durch die Fenster, quoll wie eine zähe Flüssigkeit zwischen den roten Vorhängen hervor und floß auf den Teppich. Wie ein Arpeggio, fast konnte er es hören, diesmal vielleicht von Chopin. Tom merkte, daß er Angst hatte, Reeves in Amsterdam anzurufen und zu fragen, was da los war. Der Anruf hatte sich nicht wie ein Ferngespräch angehört, doch das wollte nicht immer etwas heißen. Es konnte Paris gewesen sein. Oder Amsterdam. Oder auch Mailand. Toms Nummer stand nicht im Telefonbuch. Die Vermittlung würde weder Namen noch Adresse herausgeben, aber anhand der Vorwahl 424 konnte jemand, der die Telefonnummer kannte, ohne weiteres den Bezirk feststellen, das Gebiet um Fontainebleau. Und die Mafia wäre durchaus in der Lage herauszufinden, in welcher Gegend Tom Ripley wohnte, ja sogar den Ort, Villeperce, weil vor gerade einmal sechs Monaten die Derwatt-Affäre samt Foto von Tom durch die Presse gegangen war. Natürlich kam es jetzt auf den zweiten Leibwächter an, der unverletzt überlebt hatte. Er war auf der Suche nach seinem Kollegen und dem Capo [243]  den ganzen Zug abgelaufen und würde sich womöglich an Tom erinnern, der im Speisewagen gesessen hatte.
    Er übte wieder das Thema der Goldberg-Variation, als das Telefon zum zweitenmal klingelte. Seit dem ersten Anruf mochten zehn Minuten vergangen sein. Diesmal würde er sich als Robert Wilson melden. Sein amerikanischer Akzent war sowieso nicht zu überhören.
    »Oui?« sagte Tom in gelangweiltem Ton.
    »Hallo –«
    »Oh, hallo«, unterbrach ihn Tom, der Jonathans Stimme erkannte.
    »Ich würde Sie gern sprechen«, sagte Jonathan, »wenn Sie ein bißchen Zeit hätten.«
    »Ja natürlich. Heute noch?«
    »Wenn möglich, ja. Ich kann nicht… Gegen Mittag besser nicht, wenn’s recht ist. Später vielleicht?«
    »So gegen sieben?«
    »Oder schon um halb sieben. Können Sie nach Fontainebleau kommen?«
    Als Treffpunkt vereinbarten sie die Salamandre-Bar. Tom konnte sich denken, worum es ging: Jonathan hatte seiner Frau gegenüber keine überzeugende Erklärung für das Geld gefunden. Er klang besorgt, aber nicht verzweifelt.
    Um sechs Uhr fuhr Tom los. Er nahm den Renault, weil Héloïse mit dem Alfa noch nicht zurück war. Sie hatte angerufen, um zu sagen, daß sie zum Aperitif bei Noëlle bleiben würde, vielleicht auch zum Abendessen. Außerdem hatte sie bei Hermès einen wunderschönen Koffer gekauft, weil er herabgesetzt war. Héloïse glaubte, je mehr sie zu [244]  Sonderpreisen kaufe, desto sparsamer sei sie, und hielt das geradezu für eine Tugend.
    Jonathan war schon da, als Tom die Bar betrat. Er stand an der Theke und trank Dunkelbier, wahrscheinlich das gute alte Whitbread Ale, dachte Tom. Das Salamandre war an diesem Abend voller und lauter als sonst, also würden sie an der Theke wohl unbesorgt reden können. Er nickte Jonathan lächelnd zu und bestellte dasselbe.
    Jonathan erzählte, was passiert war: Simone hatte das Schweizer

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