Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund
Druckschrift, ohne Absender, vermutlich von Reeves. Tom wollte ihn schon im Wohnzimmer öffnen, doch dort sprach Héloïse gerade mit Madame Annette darüber, sie nach Paris zum Zug zu bringen, also ging er auf sein Zimmer. Der Brief lautete:
11. Mai
Lieber Tom,
ich bin in Ascona. Mußte mein Hotel und Amsterdam verlassen, es war sehr knapp, konnte aber immerhin meine Sachen noch einlagern. Herrgott, können sie mich nicht in Ruhe lassen? Hier bin ich nun in dieser schönen Stadt und wohne als Ralph Platt in einem Gasthaus auf dem Berg, das Die drei Bären heißt – urig, nicht? [265] Jedenfalls weit abgelegen, eher eine Familienpension. Mit den besten Wünschen für Sie und Héloïse,
Ihr R.
Tom zerknüllte den Brief, zerriß ihn dann aber und warf die Schnipsel in den Papierkorb. Es war genauso schlimm, wie er gedacht hatte: Die Mafia war Reeves nach Amsterdam gefolgt und hatte alle Telefonnummern überprüft, die Reeves angerufen hatte. Damit kannte sie sicher auch seine Nummer. Tom fragte sich, was genau dort im Hotel »sehr knapp« gewesen war, und schwor sich, nicht zum erstenmal, nie wieder etwas mit Reeves Minot zu tun zu haben. In diesem Fall hatte er dem Mann nur eine Idee geliefert, sonst nichts. An sich hätte das für ihn ungefährlich sein sollen. Sein Fehler, das wurde Tom klar, hatte darin bestanden, Jonathan Trevanny zu helfen. Was Reeves natürlich nicht wußte, sonst wäre er nicht so dumm gewesen, ihn in Belle Ombre anzurufen.
Auch wenn Jonathan samstags arbeiten mußte, wollte er ihn bis heute abend hier im Haus haben, besser schon am Nachmittag. Falls etwas passierte, würden zwei Leute im Haus, einer vorne und einer hinten, besser mit der Lage fertig als nur einer, der nicht überall zugleich sein konnte. Und an wen sollte er sich sonst wenden? Jonathan war kein großer Kämpfer, doch wenn es hart auf hart ging, würde er sich vielleicht behaupten können, so wie neulich im Zug. Da hatte er sich ganz gut gehalten und ihn ja sogar, wie Tom nicht vergessen hatte, durch die offene Tür zurück in den Zug gerissen. Hätte Jonathan ihn nicht gerettet, wäre er sicher hinausgefallen. Er wollte, daß Jonathan die Nacht [266] über bei ihm blieb, und dazu mußte er ihn abholen – einen Bus gab es nicht, und da heute noch einiges passieren könnte, wollte er nicht, daß Jonathan ein Taxi nahm. Der Taxifahrer könnte sich später erinnern, jemanden von Fontainebleau nach Villeperce gefahren zu haben, eine auffällig lange Strecke.
»Du rufst mich heute abend an, ja, Tomme ?« fragte Héloïse. Sie war in ihrem Zimmer und packte einen großen Koffer. Zuerst würde sie zu ihren Eltern fahren.
»Ja, Liebes. Gegen halb acht?« Héloïses Eltern aßen um Punkt acht zu Abend. »Ich werde wahrscheinlich etwas sagen wie ›Alles in Ordnung‹.«
»Ist es nur der heutige Abend, der dir Sorgen macht?«
Nein, aber das wollte Tom ihr nicht sagen. »Ich denke schon.«
Gegen elf Uhr waren Héloïse und Madame Annette reisefertig. Bevor er ihnen mit dem Gepäck half, schaffte es Tom, als erster in der Garage zu sein, obwohl Madame Annette nach alter französischer Schule meinte, sie müsse das gesamte Gepäck nacheinander zum Auto tragen, weil sie eben die Dienerin war. Dort warf er einen Blick unter die Motorhaube des Alfa: das vertraute Bild, Stahl und Drähte. Er ließ den Motor an. Nichts, keine Explosion. Gestern abend war er vor dem Essen zur Garage gegangen und hatte die Tür mit einem Vorhängeschloß gesichert, doch der Mafia traute er alles zu. Diese Leute konnten ein Vorhängeschloß knacken und hinterher wieder zuschnappen lassen.
»Wir telefonieren, Madame Annette«, sagte Tom und küßte sie auf die Wange. »Lassen Sie es sich gutgehen!«
[267] » Au revoir, Tomme! Ruf mich heute abend an, ja? Und paß auf dich auf!« rief Héloïse.
Tom winkte ihnen grinsend hinterher. Offensichtlich war Héloïse nicht besonders beunruhigt. Um so besser.
Dann kehrte er ins Haus zurück und rief Jonathan an.
[268] 18
Für Jonathan war es kein guter Morgen gewesen. Simone hatte zu ihm gesagt, durchaus freundlich zwar, weil sie Georges gerade in einen Rollkragenpulli half: »Ich sehe nicht, daß es zwischen uns ewig so weitergeht, Jon. Du etwa?«
Bald mußten sie Georges in den Kindergarten bringen. Es war fast Viertel nach acht.
»Nein, ich auch nicht. Was das Schweizer Geld angeht…« Entschlossen redete Jonathan einfach weiter, doch schnell, damit Georges nicht alles verstand. »Die
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