Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund
Maurer berechnet hätte. Tom mußte immer wieder zu dem Weg hinüberblicken, der durch den Wald hinter Antoine führte und ganz im Dunkeln lag. Autoscheinwerfer waren jedenfalls nicht zu sehen.
Als die vier nach dem Essen gegen elf bei Kaffee und Bénédictine saßen, entschloß er sich trotzdem, Héloïse und Madame Annette morgen aus dem Haus zu schaffen. Bei Héloïse dürfte das nicht schwer sein; er würde sie überreden, ein paar Tage zu Noëlle zu gehen (sie und ihr Mann hatten eine sehr große Wohnung in Neuilly) oder ihre Eltern zu besuchen. Madame Annette hatte eine Schwester in Lyon, die zum Glück Telefon besaß, also ließ sich da schnell etwas arrangieren. Und die Erklärung? Die [262] Vorstellung, einen absonderlichen Vorwand zu erfinden, etwa: »Ich muß ein paar Tage allein sein«, war ihm zuwider, doch wenn er offen sagte, daß sie in Gefahr schwebten, würden die beiden Frauen Angst bekommen. Und sie würden die Polizei holen wollen.
Noch am selben Abend, als sie gerade zu Bett gingen, sprach Tom mit Héloïse. »Liebes«, begann er auf englisch, »ich fürchte, daß etwas Schreckliches passieren wird, und da will ich dich nicht im Haus haben. Nur zu deiner eigenen Sicherheit. Ich möchte auch, daß Madame Annette morgen für ein paar Tage verschwindet – du kannst mir hoffentlich helfen, mein Schatz, sie zu einem Besuch bei ihrer Schwester zu überreden.«
Héloïse, in blaßblaue Kissen gelehnt, runzelte die Stirn und stellte das Joghurtschälchen ab. »Was soll denn so Schreckliches geschehen? Sag es mir, Tomme !«
»Nein.« Tom schüttelte den Kopf, dann lachte er. »Vielleicht bin ich nur überängstlich. Vielleicht passiert gar nichts. Aber es kann doch nicht schaden, auf Nummer Sicher zu gehen, oder?«
»Red nicht drum herum, Tomme . Was ist los? Es ist Reeves, hab ich recht?«
»Na gut, ja.« Immer noch besser, viel besser, als die Mafia zu erwähnen.
»Wo ist er jetzt?«
»In Amsterdam, glaube ich.«
»Lebt er nicht in Deutschland?«
»Doch, aber er hat dort zu tun.«
»Wer hängt da noch mit drin? Warum hast du Angst? Tomme, was hast du getan?«
[263] »Aber chérie, gar nichts!« In solchen Fällen seine übliche Antwort. Er schämte sich nicht einmal dafür.
»Dann willst du also Reeves schützen?«
»Er hat mir ab und zu einen Gefallen getan. Jetzt aber will ich dich schützen, uns und Belle Ombre. Nicht Reeves. Also laß es mich versuchen, chérie !«
»Belle Ombre?«
Tom lächelte und sagte ruhig: »Ich will keinen Aufruhr im Haus. Ich will nicht, daß etwas in die Brüche geht, und sei es nur eine Fensterscheibe. Du mußt mir vertrauen, ich versuche nur, jede Gewalt oder Gefahr zu vermeiden.«
Héloïse blinzelte ein paarmal und erwiderte dann leicht verärgert: »Na gut, Tomme. «
Sie würde keine Fragen mehr stellen, es sei denn, die Polizei ermittelte gegen ihn oder er müßte eine herumliegende Mafialeiche erklären. Kurz darauf lächelten beide wieder, und in der Nacht schlief Tom in ihrem Bett. Jonathan dürfte es viel schwerer haben, dachte Tom, auch wenn Simone gar nicht schwierig, neurotisch oder aufdringlich neugierig wirkte. Jonathan lag es jedoch nicht, außergewöhnliche Dinge zu tun; selbst harmlose Notlügen fielen ihm schwer. Wenn seine Frau ihm nun mißtraute, mußte das für Jonathan so niederschmetternd sein, wie er gesagt hatte. Und daß Simone an ein Verbrechen dachte, an etwas Schändliches, dessen Jonathan sich schämte und das er nicht zugeben konnte, war bei dem vielen Geld nur natürlich.
Am Morgen sprachen Tom und Héloïse gemeinsam mit Madame Annette. Héloïse hatte ihren Tee oben getrunken, Tom saß mit seinem zweiten Kaffee im Wohnzimmer.
[264] » Monsieur Tomme sagt, er will ein paar Tage allein sein. Er will Zeit zum Nachdenken haben und zum Malen«, begann Héloïse.
Sie hatten beschlossen, das sei letzten Endes die beste Ausrede. »Und Ihnen würde ein bißchen Urlaub auch nicht schaden, Madame Annette. Kleine Ferien sozusagen, vor den großen im August«, fügte Tom hinzu, obwohl die Frau robust und putzmunter wie immer wirkte und in Hochform schien.
»Aber natürlich, Madame et M’sieur, wenn Sie das wünschen. Das wird wohl das große Bild, oder?« Sie lächelte. Ihre blauen Augen strahlten nicht gerade, doch sie war einverstanden. Und sie erklärte sich sofort bereit, ihre Schwester Marie-Odile in Lyon anzurufen.
Um halb zehn kam die Post, darunter ein weißer Brief mit einer Schweizer Marke, die Adresse in
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