Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund
stumm, abzuheben, hielt die Muschel ans Ohr und hörte mit. Die Frau vom Amt sagte, der Anruf sei angenommen.
»Pronto?« Eine Männerstimme am anderen Ende.
Lippo hielt den Hörer mit der Rechten an sein linkes Ohr. » Pronto. Hier Lippo. Luigi?«
»Sì?« sagte der andere.
»Hör mal, ich…« Das Hemd klebte ihm schweißnaß am Rücken. »Wir haben gesehen…«
Tom zog die Schlinge fester zu: Lippo sollte zur Sache kommen.
»Ihr seid in Frankreich, ja? Du und Angi?« Die Stimme klang ungeduldig. » Allora, was ist passiert?«
»Nichts. Ich… wir haben diesen Kerl gesehen. Angi sagt, das ist er nicht – nein, das ist nicht unser Mann.«
»Und ihr glaubt, ihr werdet verfolgt«, flüsterte Tom. Die Verbindung war so schlecht, daß er nicht fürchten mußte, der Mann in Mailand könne ihn hören.
»Und wir glauben, wir… werden verfolgt.«
»Verfolgt? Von wem?« kam es scharf zurück.
»Keine Ahnung. Was zum – solln wir jetzt machen?« fragte Lippo in bestem italienischen Ganovenjargon. Das eine Wort kannte Tom nicht. Lippo klang jetzt zu Tode erschreckt.
Tom bebte vor lautlosem Lachen. Er sah zu Jonathan hinüber, der immer noch treu mit seiner Pistole auf den Italiener zielte. Tom konnte nicht alles verstehen, was Lippo sagte, doch zu tricksen versuchte der Mann offenbar nicht.
»Zurückkommen?« fragte Lippo.
[299] »Sì!« sagte Luigi. »Laßt den Wagen stehen, nehmt ein Taxi zum nächsten Flughafen! Wo seid ihr jetzt?«
»Sag ihm, du mußt Schluß machen!« flüsterte Tom mit einer entsprechenden Handbewegung.
»Muß Schluß machen. Rivederc’, Luigi.« Lippo legte auf. Wie ein geprügelter Hund sah er zu Tom auf.
Lippo war erledigt, und er wußte es. Ausnahmsweise war Tom stolz auf seinen Ruf. Er hatte nicht vor, Lippo am Leben zu lassen. Die Genotti-Familie hätte unter diesen Umständen auch keinen verschont.
»Steh auf, Lippo.« Tom lächelte. »Wollen doch mal sehen, was du sonst noch in den Taschen hast.«
Als Tom daranging, ihn wieder zu filzen, zuckte der Mann mit dem unverletzten Arm, als wolle er zuschlagen, doch Tom duckte sich nicht einmal weg. Nur die Nerven, dachte er. In einer Hosentasche fand er Münzen und einen zerknüllten Papierstreifen, eine uralte italienische Straßenbahnfahrkarte. Und dann, in der hinteren Hosentasche, eine Garrotte, diesmal sportlich rotweiß gestreift, die ihn an die rotweißen Spiralstangen vor amerikanischen Friseursalons erinnerte. Die Schnur war dünn wie Katgut. Was sie wohl auch war.
»Sieh mal an, noch eine!« sagte Tom zu Jonathan, während er die Garrotte hochhielt wie einen schönen Stein, den er am Strand gefunden hatte. Jonathan blickte nur flüchtig auf die baumelnde Schlinge. Die erste Garrotte lag immer noch um Lippos Hals. Zum Toten, der keine zwei Meter von ihm auf dem polierten Parkett lag, einen Fuß unnatürlich einwärts verdreht, sah er nicht hin, nahm aber die hingestreckte Gestalt aus den Augenwinkeln wahr.
[300] »Oje«, sagte Tom nach einem Blick auf seine Uhr: Schon nach zehn; er hatte nicht gedacht, daß es so spät war. Es mußte jetzt getan werden, denn Jonathan und er würden Stunden für die Hinfahrt brauchen und sollten, wenn irgend möglich, vor Sonnenaufgang zurück sein. Sie mußten die Leichen in einiger Entfernung von Villeperce loswerden. Weiter im Süden natürlich, Richtung Italien. Vielleicht eher im Südosten. Eigentlich nicht so wichtig, aber Südosten war ihm lieber. Er atmete einmal tief durch, doch er konnte es noch nicht tun; Jonathans Anwesenheit hemmte ihn. Andererseits hatte Jonathan bereits eine Leiche verschwinden sehen, und sie hatten keine Zeit zu verlieren. Tom hob das Holzscheit auf.
Lippo duckte sich, warf sich zu Boden oder stolperte und fiel einfach hin, Tom aber ließ das Holz auf seinen Kopf niedersausen, einmal, dann noch einmal. Allerdings schlug er nicht mit voller Kraft zu, wollte er doch nicht noch mehr Blut auf dem Boden vergießen, den Madame Annette gebohnert hatte. »Er ist nur bewußtlos«, sagte er zu Jonathan. »Wir müssen ihn erledigen. Wenn du nicht zusehen willst, geh lieber in die Küche.«
Jonathan war aufgestanden. Zusehen wollte er ganz gewiß nicht.
»Kannst du fahren?« fragte Tom. »Meinen Wagen, meine ich. Den Renault.«
»Ja.« Jonathans Führerschein stammte noch aus seiner ersten Zeit in Frankreich mit Roy, dem Freund aus England, lag jetzt jedoch zu Hause.
»Wir müssen heute nacht fahren. Geh in die Küche.« Tom winkte Jonathan hinaus. Dann
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