Riptide - Mörderische Flut
innen.
Behutsam stieg Bonterre in den kleinen Raum, den Hatch sich zum Übernachten eingerichtet hatte. Die schmale Pritsche, auf der noch nie jemand geschlafen hatte, war genauso frisch und ordentlich wie an dem Tag, an dem man sie aufgestellt hatte. Rasch durchsuchte Bonterre den kleinen Schrank daneben in der Hoffnung, eine Pistole, ein Messer oder irgendeine andere Waffe zu finden. Schließlich mußte sie sich jedoch mit einer langen, schweren Taschenlampe begnügen; sie schaltete sie ein und richtete Ihren Strahl auf den Boden der Kammer. Dann ging sie durch die Tür in einen kleinen Flur, von dem aus man auf der einen Seite in die Praxis, auf der anderen ins Wartezimmer kam.. An der dritten Wand befand sich eine Tür mit der Aufschrift LAGERRAUM. Wie erwartet war sie versperrt, doch sie war so windig, daß Bonterre sie mit zwei wohlgezielten Tritten eintreten konnte.
In dem kleinen Raum standen an drei Wänden mit Glastüren versehene Metallschränke, in denen oben Medikamente und unten medizinische Geräte aufbewahrt wurden. Bonterre hatte zwar keine Ahnung, wie ein Geigerzähler aussah, aber sie wußte von Hatch, daß das Gerät von der Firma Radmetrics war. Schnell entschlossen schlug sie mit der Taschenlampe die Glastür eines der Schränke ein und besah sich die Gegenstände In den unteren Regalen. Nichts. Sie drehte sich um und trat auch die Tür des gegenüberliegenden Schrankes ein, doch auch dort suchte sie vergeblich. Erst im dritten Schrank lag ein kleines schwarzes Nylontäschchen mit einem Tragegurt und dem Logo der Firma Radmetrics, In dem sich ein seltsam aussehendes Instrument mit einem beleuchtbaren Display und einem kleinen Tastenfeld befand. An seiner Vorderseite ragte eine kleine Halbkugel heraus, die Bonterre an ein Mikrofon erinnerte. Bonterre suchte nach einem Schalter und knipste das Gerät an, wobei sie darum betete, daß die Batterien noch halbwegs frisch waren. Sie hörte ein leises Piepsen und sah, wie eine Nachricht auf dem Display erschien:
RADMETRICS SYSTEMS INC.
SYSTEM ZUR MESSUNG UND ORTUNG VON RADIOAKTIVITAET
SOFTWARE RADMETRICS VERSION 3.0.2 (a)
BRAUCHEN SIE HILFE (J/N)
»Soviel ich nur kriegen kann«, murmelte Bonterre und drückte auf die J-Taste. Auf dem Bildschirm erschienen Instruktionen, die knapp, aber präzise die Bedienung des Geigerzählers erklärten. Bonterre überflog sie, schaltete das Gerät aber gleich wieder aus. Sie hatte keine Zelt, sich das alles durchzulesen. Außerdem waren die Batterien zwar noch in Ordnung, aber es gab keine Anzeige dafür, wie lange sie noch durchhalten würden.
Bonterre steckte den Geigerzähler in seine Tasche zurück und machte sich auf den Rückweg zu Hatchs Schlafzimmer. Plötzlich hielt sie inne und blieb wie erstarrt stehen. Durch das Heulen des Sturms hatte sie ein Geräusch gehört, das keine natürliche Ursache haben konnte: einen Schuß.
Bonterre hängte sich die Tasche mit dem Geigerzähler über die Schulter und rannte zu dem Fenster, das sie vor wenigen Minuten eingeschlagen hatte.
49
Hatch lag erschöpft auf den Felsen am Strand und ließ sich zufrieden das Wasser um die Brust spülen. Eine Hälfte seines Bewußtseins sehnte sich zurück nach der Umarmung des Meeres, aber die andere Hälfte, die langsam Oberhand gewann, war entsetzt darüber, daß er solche Gedanken hegte. Er war am Leben, soviel stand fest. Das spürte er schon daran, daß ihm sein ganzer Körper weh tat, besonders die Schultern, die Schienbeine und die Knie. Je mehr er an die Schmerzen dachte, desto stärker wurden sie. Seine Hände und Füße waren steif vor Kälte, und sein Kopf fühlte sich an, als wäre er voller Wasser. Die zweite Hälfte seines Bewußtseins, die Hälfte, die ihm sagte, daß es gut war, am Leben zu sein, befahl ihm jetzt, sich endlich aufzuraffen und den Strand hinaufzukriechen.
Als Hatch mühsam einatmete, drang frisches Salzwasser in seine Bronchien, und er wurde von einem heftigen Hustenanfall geschüttelt. Er versuchte sich hinzuknien, aber er war so kraftlos, daß er gleich wieder zusammensackte. Erst nach mehreren vergeblichen Versuchen gelang es ihm, auf allen vieren ein paar Meter den Strand hinaufzukrabbeln. Dort legte er sich auf einen großen flachen Granitfelsen, dessen nasse Oberfläche sich unter seiner Wange glatt und kühl anfühlte.
Als Hatchs Kopf langsam wieder klarer wurde, kam nach und nach auch seine Erinnerung wieder zurück. Er dachte an Neidelman und das Schwert und wußte auf einmal wieder,
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