Riptide - Mörderische Flut
Stammeln überging und schließlich ganz aufhörte.
»Von den Fischern hier können Sie auch eine andere Erklärung für das Geräusch kriegen«, fuhr Hatch fort. »Vielleicht ist Ihnen ja schon aufgefallen, daß es rings um die Insel keine Hummerkörbe gibt. Aber glauben Sie bloß nicht, das wäre deshalb, weil hier keine Hummer lebten.«
»Der Fluch von Ragged Island«, murmelte Neidelman und nickte mit einem zynischen Funkeln in den Augen. »Ich habe schon davon gehört.« Er senkte den Blick auf die Decksplanken, und beide Männer schwiegen lange. Schließlich hob Neidelman langsam den Kopf. »Ich kann Ihren Bruder nicht wieder lebendig machen«, sagte er, »aber eines kann ich Ihnen versprechen: Wir werden herausfinden, was mit Ihm passiert ist.«
Hatch winkte ab. Ein plötzlicher Ansturm von Gefühlen verschlug ihm die Sprache. Er wandte den Kopf dem offenen Fenster des Steuerhauses zu und war dankbar für den Regen, der seine Tränen verbarg. Mit einemmal war ihm klar, daß er die Insel nie mehr betreten konnte. Ohne ein Wort der Erklärung drehte er das Boot nach Westen, gab Gas und fuhr zurück in den die Insel verhüllenden Nebel. Er wollte so rasch wie möglich wieder in sein Hotel, sich ein zeitiges Mittagessen bestellen und seinen Kummer mit ein paar Bloody Marys ertränken.
Am anderen Ende der Nebelbank erwartete sie helles Sonnenlicht. Der Wind frischte auf, und Hatch spürte, wie die Feuchtigkeit auf seinem Gesicht und seinen Händen verdampfte. Er blickte nicht zurück, aber allein das Wissen darum, daß hinter ihm die nebelverhangene Insel immer kleiner wurde, nahm ihm etwas von dem Druck, der sich ihm auf die Brust gelegt hatte.
»Sie müssen wissen, daß wir eng mit erstklassigen Archäologen und Historikern zusammenarbeiten«, sagte Neidelman, der neben ihm stand. »Was wir bei unserer Expedition über die Ingenieurkunst des siebzehnten Jahrhunderts, das Piratenunwesen und die maritime Technologie der damaligen Zeit herausfinden werden, kann von unschätzbarem Wert für die Wissenschaft sein. Wir heben nämlich nicht nur einen Schatz, sondern machen gleichzeitig auch eine archäologische Ausgrabung. Und, wer weiß, vielleicht bringen wir dabei ja sogar etwas über Red Ned Ockhams mysteriösen Tod in Erfahrung.«
»Ich möchte mir aber das Recht vorbehalten, die ganze Aktion jederzeit abblasen zu können, wenn ich den Eindruck habe, daß die Arbeiten zu gefährlich werden«, warf Hatch nach kurzem Zögern ein.
»Das kann ich gut verstehen. Unser Vertrag hat ohnehin schon achtzehn Vorbehaltsklauseln, da kommt es auf die neunzehnte auch nicht mehr an.«
»Wenn Ich bei Ihrer Unternehmung mitmache«, sagte Hatch noch langsamer als vorhin, »dann aber nicht als stiller Teilhaber, der den anderen nur über die Schulter schaut.«
Neidelman kratzte mit seinem Pfeifenstopfer in der erkalteten Pfeife herum. »Bergungsexpeditionen wie diese können ziemlich riskant sein, besonders für jemanden, der so etwas noch nie gemacht hat. Was für eine Aufgabe würden Sie denn gerne übernehmen?«
Hatch zuckte mit den Schultern. »Haben Sie nicht gesagt, daß Sie einen Expeditionsarzt angeheuert hätten?«
Neidelman hörte mit dem Pfeifenputzen auf und hob die Augenbrauen. »So verlangt es das Gesetz hier in Maine. Schlagen Sie etwa vor, wir sollten jemand anderen unter Vertrag nehmen?«
»Ja.«
Neidelman lächelte. »Und Sie sind sicher, daß Sie auf die Schnelle Urlaub vom Mount Auburn Hospital bekommen?«
»Das Projekt, an dem ich momentan forsche, ist nicht so eilig. Außerdem sprechen wir ja nicht von einer allzu langen Zeitspanne, denn schließlich haben wir bereits Ende Juli. Wenn Sie Ihre Sache dieses Jahr noch durchziehen wollen, dann müssen Sie es innerhalb der nächsten vier Wochen tun so oder so. Sobald im September die ersten Stürme kommen, müssen Sie die Arbeiten einstellen.«
Neidelman beugte sich über die Reling und klopfte mit einer einzigen raschen Handbewegung die Tabakreste aus seiner Pfeife ins Meer. Dann richtete er sich auf. Am Horizont hinter ihm zeichneten sich bereits die langgestreckten, dunklen Umrisse von Burnt Head ab.
»In vier Wochen sind alle unsere Probleme gelöst«, erwiderte er. »Die Ihren wie die meinen.«
5
Hatch stellte seinen Wagen auf dem kleinen Parkplatz direkt neben Buds Supermarkt ab. Diesmal war er mit dem eigenen Auto da, und es war ein merkwürdig beunruhigendes Gefühl, Vorkommnisse aus seiner Vergangenheit durch die Windschutzscheibe eines
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