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Riptide - Mörderische Flut

Riptide - Mörderische Flut

Titel: Riptide - Mörderische Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lincoln Douglas & Child Preston , Lincoln Child
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Fahrzeugs zu betrachten, das ganz eindeutig seiner Gegenwart angehörte. Liebevoll betrachtete er den abgewetzten Beifahrersitz aus Leder und die alten Kaffeeflecken auf dem Wurzelholz rings um den Schalthebel. Hier drinnen war ihm alles vertraut, hier fühlte er sich so geborgen, daß er nur ungern die Tür öffnete und ausstieg. Hatch nahm seine Sonnenbrille von der Ablage, legte sie nach kurzem Zögern aber wieder zurück. Die Zeit des Versteckspielens war vorbei.
    Er sah sich auf dem kleinen Platz vor dem Supermarkt um und bemerkte, daß der Asphalt noch mehr Löcher aufwies als früher. Der alte Zeitungsstand an der Ecke mit seinen wackeligen Metallregalen voller Comics und Zeitschriften hatte einer Eisdiele weichen müssen, aber ansonsten war die Stadt mit ihren steil hinunter zum Hafen führenden Straßen und ihren mit Schiefer und Zedernholzschindeln gedeckten, in der Sonne glänzenden Dächern so malerisch wie eh und je. Ein Mann kam vom Hafen her den Berg heraufgestiegen; seine Gummistiefel und die über die Schulter geworfene Öljacke verrieten Hatch, daß es ein Hummerfischer war, der von der Arbeit nach Hause ging. Der Mann warf ihm im Vorbeigehen einen Blick zu, bevor er in einer Seitengasse verschwand. Er war jung, nicht viel älter als zwanzig, und Hatch wurde plötzlich klar, daß dieser Mann noch nicht einmal auf der Welt gewesen war, als er und seine Mutter die Stadt verlassen hatten. Eine ganze Generation war während seiner Abwesenheit herangewachsen, und gewiß war auch eine ganze Generation inzwischen verstorben.
    Auf einmal fragte sich Hatch, ob Bud Rowell wohl noch am Leben war.
    Von außen betrachtet sah Buds Supermarkt noch genauso aus, wie er ihn in Erinnerung hatte: die grüne Fliegengittertür, die nie richtig zuging, das alte Coca-Cola-Blechschild, die windschiefe, verwitterte Veranda - alles war noch wie damals. Als Hatch eintrat, knarzten die abgetretenen Dielen unter seinen Füßen. Er holte sich einen Einkaufswagen aus dem kleinen Stand neben der Tür und war froh, daß der Laden fast leer war. Langsam ging er durch die engen Gänge und nahm etwas Proviant für die »Plain Jane« aus den Regalen. Er hatte beschlossen, auf dem Schiff zu wohnen, bis das ehemalige Haus seiner Familie wieder hergerichtet war. Er kramte zwischen den Waren herum, legte ab und zu etwas in seinen Wagen und merkte schließlich, daß er sich damit eigentlich nur vor dem Unvermeidlichen drückte. Kurzentschlossen schob er den Einkaufswagen nach vorn zur Kasse und sah sich auf einmal Bud Rowell gegenüber.
    Der großgewachsene Mann mit der Glatze und der sauberen Metzgerschürze wirkte noch genauso fröhlich wie früher, als er Malin und Johnny unter dem Ladentisch heimlich rote Lakritzstangen zugesteckt hatte, die bei ihnen zu Hause streng verboten gewesen waren. Ihre Mutter hatte das immer halb wahnsinnig gemacht.
    »Tag«, sagte Bud und ließ den Blick über Hatch hinweg zu dem vor der Tür geparkten Wagen schweifen. Es kam nicht oft vor, daß ein alter Jaguar XKE mit auswärtigen Nummernschildern vor dem Supermarkt stand. »Sie kommen aus Boston, nicht wahr?«
    Hatch nickte und wußte immer noch nicht, wie er sich verhalten sollte. »Ja.«
    »Auf Urlaub?« fragte Bud, während er vorsichtig eine Artischocke in Hatchs Papiertüte packte und so unendlich langsam wie immer Ihren Preis in die alte Registrierkasse aus Messing eintippte. Wie in Zeltlupe wanderte daraufhin eine zweite Artischocke in die Tüte, wo Bud sie liebevoll neben der ersten plazierte.
    »Nein«, antwortete Hatch. »Ich habe geschäftlich hier zu tun.« Buds Hand machte knapp oberhalb der Tüte in der Luft halt. In Stormhaven hatte seit ewigen Zelten niemand mehr geschäftlich etwas zu tun gehabt. Jetzt wollte Bud, bei dem sämtlicher Klatsch und Tratsch der Stadt zusammenliefen, der Sache doch auf den Grund gehen. Die Hand setzte sich wieder in Bewegung. »Sieh mal einer an«, meinte Bud. »Geschäftlich also.«
    Hatch nickte und kämpfte mit seiner Unentschlossenheit. Wenn Bud erst einmal wußte, daß er hier war, würde es bald die ganze Stadt wissen. Wenn er jetzt sein Inkognito lüftete, gab es kein Zurück mehr. Noch war es nicht zu spät, noch konnte er seine Sachen nehmen, den Laden verlassen und Bud im dunkeln tappen lassen. Die Alternative dazu war fast zu schlimm, um sie ernsthaft in Erwägung zu ziehen: Die Vorstellung, wie man überall in Stormhaven hinter vorgehaltener Hand von der alten Tragödie sprechen, den Kopf schütteln

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