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Riptide - Mörderische Flut

Riptide - Mörderische Flut

Titel: Riptide - Mörderische Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lincoln Douglas & Child Preston , Lincoln Child
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erreicht hatten, ließ der Wind ebenso nach wie die Brandung. Und dann glitten sie aus dem Nebel und sahen die Insel auf einmal in ihrer Gesamtheit vor sich liegen. Hatch fuhr mit dem Boot parallel zum Riff, während Neidelman am Heck stand und das Fernglas nicht mehr von den Augen nahm. Die Pfeife in seinem Mund wurde kalt, und die Schultern seines Hemdes waren von der Feuchtigkeit bald ganz dunkel. Hatch drehte den Bug des Bootes in Richtung See, schaltete den Motor in den Leerlauf und ließ die »Plain Jane« treiben. Dann erst wandte auch er sich der Insel zu.

4
    Auf einmal sah Hatch die düsteren, schrecklichen Umrisse der Insel, die ihn in seinen Alpträumen und seiner Erinnerung so oft gequält hatten, ganz real vor sich. Sie waren nicht viel mehr als eine dunkle Silhouette, die vor dem Grau der See und des Nebels wie ausgeschnitten wirkte. Ragged Island schien wie ein eigenartiger, schräg stehender Tisch, der von der wetterabgewandten Seite zur Seeseite hin allmählich anstieg und dort abrupt in fast senkrecht abfallenden Klippen endete. In der Mitte wölbte sich das Land wie ein Buckel nach oben. Die Brandung umtoste den Fuß der Klippen und brach sich an den ringförmig um die Insel verlaufenden Riffen, wo sie eine langgezogene Spur von Schaumblasen hinterließ. Ragged Island war in Wirklichkeit noch trostloser, als er es in Erinnerung hatte: ein windgepeitschtes kahles Eiland, sechzehnhundert Meter lang und achthundert Meter breit. Auf seiner windabgewandten Seite, an der sie entlangfuhren, befand sich ein Kiesstrand mit einer einzelnen Fichte, der ein Blitzschlag vor vielen Jahren die Krone zerstört hatte, so daß sich ihre knorrigen Äste wie die Finger einer alten Hexe vor dem grauen Himmel abhoben.
    Überall ragten die Überreste infernalischer Maschinen zwischen dem Riedgras und den Teerosen hervor: alte dampfgetriebene Kompressoren, Kettenwinden und Dampfkessel. Auf einer Seite der Fichte befanden sich ein paar windschiefe Hütten ohne Dach, und am anderen Ende des Strandes konnte Hatch die glatten, runden Formen der Walbuckel ausmachen, auf denen er vor mehr als fünfundzwanzig Jahren zusammen mit Johnny herumgeklettert war. Vor dem ersten der langgestreckten Felsen lagen die von unzähligen Stürmen zerschmetterten Rümpfe mehrerer großer Boote. Die zerborstenen Spanten und Teile ihres Decks lugten rostig zwischen den Granitblöcken hervor. Oberhalb der Hochwasserlinie hatte man im Abstand von jeweils hundert Metern Holztafeln aufgestellt, deren verwitterte Inschrift lautete:
    BETRETEN DER INSEL VERBOTEN!
    LEBENSGEFAHR!
    Eine Weile war Neidelman sprachlos. »Endlich«, hauchte er dann. Nachdem das Boot mehrere Minuten lang vor der Insel herumgedümpelt war, ließ Neidelman das Fernglas sinken. »Dr. Hatch?« fragte er.
    Hatch hielt sich noch immer krampfhaft am Steuerrad fest und rang mit seinen Erinnerungen. Das Grauen hatte ihn überwältigt, wie ein Anfall von Seekrankheit. Und während der Sprühregen gegen die Scheiben des Steuerhauses näßte und das Klagen der Glockenboje durch den Nebel drang, war er unfähig, auch nur ein einziges Wort herauszubringen. Dennoch mischte sich nun etwas Neues in das alte Grauen, und zwar die Erkenntnis, daß die Insel tatsächlich einen riesigen Schatz barg. Sein Großvater war also doch kein Vollidiot gewesen, der drei Generationen seiner Familie für nichts und "wieder nichts ins Unglück gestürzt hatte. In wenigen Augenblicken, das wußte Hatch, mußte er eine Entscheidung treffen, eine Entscheidung, die er seinem Großvater, seinem Vater und seinem Bruder schuldig war.
    »Dr. Hatch?« sagte Neidelman, dessen eingefallenes Gesicht vom Regen glänzte, ein zweites Mal.
    Hatch atmete mehrmals hintereinander tief durch und zwang sich, seine um das Steuerrad gekrampften Finger zu lösen. »Wollen wir einmal um die Insel herumfahren?« fragte er mit bemüht ruhiger Stimme.
    Neidelman sah ihm einen Moment lang in die Augen, dann nickte er nur und hob das Fernglas wieder ans Gesicht.
    Hatch gab langsam Gas und steuerte die »Plain Jane« wieder hinaus aufs Meer. Als das Boot den Schutz der Insel verließ, spürten die beiden Männer sogleich den kühlen Wind. Hatch fuhr mit gedrosseltem Motor bei einer Geschwindigkeit von drei Knoten langsam an Ragged Island entlang und ließ die Walbuckel und die anderen Landmarken des Grauens zurück, mit denen er so viele schreckliche Erinnerungen verband.
    »Die Insel sieht ziemlich wild aus«, meinte Neidelman. »Wilder,

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