Riptide - Mörderische Flut
Faltenrock glatt.
Aus dem Augenwinkel bemerkte Hatch, wie Reverend Woody Clay das Restaurant betrat. Er schaute sich suchend um, und als er Hatch entdeckte, lief ein unbehagliches Zucken über sein Gesicht. Dann setzte er sich in Bewegung und kam schnurstracks auf ihn zu. Nicht hier, dachte Hatch und bereitete sich auf eine weitere Predigt über die Gier und die Verwerflichkeit seiner Schatzsuche vor. Vor Hatchs Tisch angekommen, blieb der Reverend stehen und blickte zwischen Hatch und Bonterre hin und her. Hatch fragte sich, ob der Mann es tatsächlich wagen würde, sie beim Abendessen zu stören.
»Oh«, sagte Claire und strich sich über ihr langes blondes Haar. Dann wandte sie sich an den Reverend. »Woody, darf ich dir Malin Hatch vorstellen?«
»Wir sind uns bereits begegnet«, erwiderte Clay und nickte.
Erleichtert dachte Hatch, daß der Pastor angesichts der beiden Frauen wohl kaum zu einer weiteren Strafpredigt ansetzen würde.
»Ich würde Ihnen gerne Dr. Isobel Bonterre vorstellen, Reverend«, sagte er. »Isobel, das sind Claire Northcut und…«
»Wir sind Reverend und Mrs. Woodruff Clay«, unterbrach Clay ihn scharf und streckte Bonterre die Hand hin.
Hatch war sprachlos, und zunächst weigerte sich sein Gehirn, das soeben Gehörte zu glauben.
Bonterre tupfte sich die Lippen mit ihrer Serviette ab. Dann stand sie langsam auf und entblößte, während sie Claire und Woody Clay die Hand drückte, zwei Reihen makellos weißer Zähne. Es folgte ein Augenblick betretenen Schweigens, bis Clay seine Frau mit einem knappen Nicken zu Hatch hinüber vom Tisch der beiden wegführte.
Bonterre blickte Claire hinterher und fragte: »Eine alte Freundin von Ihnen?«
»Wie bitte?« Hatch starrte auf Clays linke Hand, die er Claire besitzergreifend auf den Rücken gelegt hatte.
Ein Grinsen machte sich auf Bonterres Gesicht breit. »Halt, ich habe mich getäuscht«, sagte sie und beugte sich vor. »Eine frühere Geliebte. So ein Wiedersehen kann peinlich sein. Und doch so süß.«
»Sie haben einen scharfen Blick«, murmelte Hatch, der von der unverhofften Begegnung -und der darauffolgenden Enthüllung immer noch zu sehr durcheinander war, um Bonterres Mutmaßung abzustreiten.
»Aber der Ehemann der Dame ist ganz bestimmt kein Freund von Ihnen. Im Gegenteil, es kam mir so vor, als würde er Sie überhaupt nicht mögen. Dieses geschmerzte Lächeln, die schweren Tränensäcke - der Mann sieht fast so aus, als hätte er eine nuit blanche hinter sich.«
»Eine was?«
»Eine nuit blanche . Eine wie sagt man bei Ihnen? - eine schlaflose Nacht. Ganz gleich, aus welchem Grund«, fügte sie mit einem schalkhaften Lächeln hinzu.
Anstatt einer Antwort griff Hatch zur Gabel und versuchte, sich wieder seinem Hummer zu widmen.
»Wie ich sehe, läßt die Frau Sie noch immer nicht kalt«, schnurrte Bonterre mit fröhlicher Stimme. »Irgendwann einmal müssen Sie mir von ihr erzählen. Aber zuerst will ich mehr über Sie erfahren. Gerard hat schon angedeutet, daß Sie viel gereist sind. Ich möchte, daß Sie mir alles über Ihre Abenteuer in Surinam erzählen.«
Fast zwei Stunden später zwang sich Hatch endlich aufzustehen, um zusammen mit Bonterre das Restaurant zu verlassen. Er hatte geradezu obszön viel gegessen: Seinem Hummer waren zwei Nachspeisen, zwei Kannen Kaffee und mehrere Gläser Brandy gefolgt. Obwohl Bonterre bei dieser Völlerei begeistert mitgehalten hatte, schien sie genauso fit wie vor dem Essen zu sein. Als sie draußen im kühlen Nachtwind stand, breitete sie ihre Arme aus. »Herrlich erfrischend, diese Luft!« rief sie. »Langsam wird mir diese Stadt noch richtig sympathisch.«
»Warten Sie nur ab«, meinte Hatch, »in zwei Wochen werden Sie gar nicht mehr wegwollen. Diese Gegend kann süchtig machen.«
»Und Sie werden es in zwei Wochen nicht mehr schaffen, mir aus dem Weg zu gehen, Monsieur le docteur .« Sie warf ihm einen taxierenden Blick zu. »Und was machen wir jetzt?«
Hatch zögerte einen Augenblick. Er hatte sich nie richtig überlegt, was nach dem Abendessen geschehen würde. Als er Bonterres Blick erwiderte, ließen sich in seinem Kopf abermals leise Alarmglocken vernehmen.
Im gelblichen Licht der Straßenlaterne sah die Archäologin mit ihrer braunen Haut und ihren mandelförmigen, in einer Kleinstadt in Maine zauberhaft exotisch wirkenden Augen betörend schön aus. Sei vorsichtig, meldete sich Hatchs innere Stimme
»Ich denke, wir sollten uns jetzt verabschieden«, meinte er.
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