Risiko: Wie man die richtigen Entscheidungen trifft (German Edition)
desto weniger sind sie in der Lage, bestehende Freundschaften aufrechtzuerhalten. Um die Kontrolle durch das Medium zu vermeiden und negative Konsequenzen zu reduzieren, ist die frühe Entwicklung von Selbstbeherrschung von großer Bedeutung.
Das Internet ist ein riesiger Wissensspeicher. Immer häufiger verlassen sich Nutzer auf seine Informationen statt auf das eigene Gedächtnis. Wir »outsourcen« Informationssuche, Gedächtnis und andere kognitive Fähigkeiten. Die meisten von uns sind nicht mehr in der Lage, sich lange Gedichte oder Geschichten einzuprägen, genauso wie wir mit der Einführung des Taschenrechners das Kopfrechnen verlernt haben. Die digitalen Medien werden diesen Prozess noch verstärken. In der besten aller Welten werden sich Geist und Medien gegenseitig befruchten und sich immer besser aneinander anpassen. Durch die neuen Fähigkeiten werden neue Werkzeuge geschaffen, die ihrerseits die Entwicklung neuer Fähigkeiten anregen und so fort.
Wie bei der Gesundheitskompetenz ist es wohl zu spät, wenn wir einem 18-Jährigen sagen müssen, er solle beim Autofahren keine Textnachrichten verfassen. Statt mit Schuldzuweisungen zu arbeiten, müssen wir damit beginnen, digitale Kompetenz und Selbstbeherrschung viel früher zu vermitteln. Das Ziel ist eine neue Generation, die das Wissen und den Willen hat, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen.
Jeder kann lernen, mit Risiko und Ungewissheit umzugehen
Ich begann dieses Buch mit der Beobachtung: Wenn etwas schiefgeht, erzählt man uns, dass wir bessere Technik, mehr Gesetze und aufwendigere Bürokratie brauchen. Ein Punkt fehlt auf dieser Liste: risikokompentente Bürger. Stattdessen hält man Paternalismus für die Lösung.
Der Begriff Paternalismus leitet sich vom lateinischen Wort pater – Vater – ab und bedeutet, dass Erwachsene wie Kinder behandelt werden. Paternalismus begrenzt die Freiheit der Menschen, ob es ihnen gefällt oder nicht – angeblich zu ihrem Besten. Wie das gesetzliche Rauchverbot zwingt der harte Paternalismus die Menschen zu einem bestimmten Verhalten und lässt sich nur so lange moralisch rechtfertigen, wie er Menschen vor der Schädigung durch andere schützt. Weicher Paternalismus – etwa die automatische Einbeziehung von Menschen in Organspendenprogramme, wenn sie nicht ausdrücklich widersprechen – »stößt« Menschen dazu an, sich in einer bestimmten Weise zu verhalten. Die Bürger wie eine Schafherde zu zwingen und anzustoßen, statt ihnen Kompetenz zu vermitteln, ist keine ermutigende Perspektive für eine Demokratie.
Die Botschaft dieses Buchs ist optimistischer, was die menschliche Freiheit anbelangt. Die Menschen sind nicht auf Gedeih und Verderb Regierungen und Experten ausgeliefert, die wissen, was für Sie und für mich am besten ist. Solche wohltätigen Experten sind eher die Ausnahme als die Regel, wie ich am Beispiel von Geld und Gesundheit gezeigt habe: Der durchschnittliche Arzt oder Finanzberater hat einen Interessenkonflikt, neigt zu defensiven Entscheidungen oder versteht die Evidenz nicht. Daher müssen wir selbstständig denken und für uns selbst Verantwortung übernehmen. Wie wir gesehen haben, kann man die eigene Kompetenz im Umgang mit Risiken und Ungewissheit verbessern. Und es ist nicht schwer. Selbst Viertklässler können Dinge lernen, die für Erwachsene angeblich unmöglich sind.
Neben hartem und weichem Paternalismus gibt es noch eine dritte Möglichkeit, die Demokratie zu stärken: in die Menschen zu investieren. 1765 sagte John Adams, der zweite Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika: »Ohne Allgemeinbildung der Menschen lässt sich die Freiheit nicht bewahren« – und zwar aller Menschen, ob männlich oder weiblich, reich oder arm. Diese Vision bezeichnet man als partizipatorische Demokratie. Adams’ Herausforderung stellt sich in unserer technisch hochentwickelten Gesellschaft wieder neu. Kritisches Denken setzt Wissen voraus. Dazu brauchen wir Mut, den Mut, selbstständige Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu übernehmen. Am Ende geht es um eines. Und das lässt sich, in den Worten von Immanuel Kant, ganz einfach sagen: »Habe Muth, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.«
249 Ripley 2009, S. 89–90.
250 Bond 2009.
251 Beck 1986.
252 Multmeier 2012 sowie Zhu und Gigerenzer 2006. Für Studien mit Erwachsenen und Bildzeichen vgl. Cosmides und Tooby 1996.
253 Zu einem Forschungsüberblick über die Beziehung zwischen Zahlenblindheit und
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