Riskante Liebe
probieren, erzählte aber glücklicherweise Jolaria in aller Unschuld von diesem Plan.
Sie erklärte mir eindringlich, dass die Göttinnen nur den Vögeln Flügel und die Fähigkeit zu fliegen verliehen hatten, da das Land bereits mit anderen Tieren und Menschen überbevölkert gewesen war. Und dass ich, sollte ich mein Vorhaben ausführen, mich schwer verletzen oder gar sterben würde. Sie hatte recht gehabt. Auch dieses Fluggerät war nicht am Himmel geblieben. Die Göttinnen hatten vermutlich den Flugversuch eines Lebewesens, welches kein Vogel war, umgehend bestraft.
Rasch kniet e ich mich neben die Verletzte – da ich unter Frauen aufgewachsen war, nahm ich einfach an, dass es sich um ein weibliches Wesen handelte – und betrachtete sie genauer. Mein Erstaunen war groß. Es war ein Mann. Allerdings einer, der völlig anders aussah als die Relianten, die ich aus dem Dorf kannte. Dieser hier war, auf seiner rechten Seite ausgestreckt vor mir liegend, von wesentlich größerer Gestalt als alle Bewohnerinnen unserer Hütten. Auch die Relianten im Gatter erreichten seine Körpergröße nicht annähernd. Seine Schultern waren enorm breit, seine Hüften im Gegensatz dazu schmal, er besaß lange kräftige Beine und durch seine an manchen Stellen zerfetzte, fremdartige Kleidung hindurch sah man seine honigfarbene Haut, die sich glatt über ausgeprägte Muskelstränge spannte. Seine Bekleidung bestand, wie ich neugierig feststellte, aus zwei Teilen. Sein Oberkörper wurde von einem Material in der Farbe des Nachthimmels, so eng anliegend wie eine zweite Haut, bedeckt. Dadurch konnte ich seinen mächtigen Brustkorb, sowie die seine ausgeprägten Arm- und Bauchmuskeln so deutlich erkennen, als ob er nackt gewesen wäre. An seinem rechten Oberschenkel klaffte, durch einen Riss in seiner Kleidung, eine lange, offene Wunde, aus der ein dünnes Rinnsal Blut auf den Boden unter ihm sickerte. Der Fußknöchel dieses Beins, den ich zwischen seiner hochgerutschten Beinkleidung und den eigenartigen, geschnürten Fußbedeckungen hervorragen sah, war stark angeschwollen. Offensichtlich war er aus dem Fluggerät geschleudert worden und auf sein rechtes Bein gefallen. Das Seltsamste an ihm aber waren sein Gesicht und sein Haupthaar. Im Gegensatz zu den langen, verfilzten Haarsträhnen der Relianten war sein dichtes dunkles Haar kurz und sauber, reichte nur bis zu seinem Hals und hatte durch die Sonne, die auf ihn schien, einen dunklen Schimmer, ähnlich wie Rabenschwingen. Unwillkürlich streckte ich die Hand aus, fuhr vorsichtig durch die glänzenden Strähnen, die keine Spur von Schweiß, Schmutz oder Fett aufwiesen und spürte an seinem Hinterkopf eine deutliche Erhebung, eine Schwellung. Er hatte sich den Hinterkopf auf einer harten Stelle des Bodens angeschlagen und dadurch wurde wahrscheinlich seine Bewusstlosigkeit verursacht.
Erschrocken zog ich meinen Arm zurück, als sich der Kopf des Fremden bewegte und seine Lippen unverständliche Worte murmelten, obwohl seine Augen geschlossen blieben. Gleich darauf entspannte sich sein Gesicht wieder, er lag ganz ruhig, sein beeindruckend gewölbter Brustkorb hob und senkte sich regelmäßig, was auf eine gute Atmung und Unversehrtheit seiner Lungen hinwies. Ich setzte meine Musterung fasziniert fort. Sein Kinn war ausgeprägt und in der Mitte durch eine Art Einkerbung gespalten. Seine Nase war nicht zu groß und gerade gewachsen. Das Erstaunlichste für mich war die Tatsache, dass man seine vollen Lippen sehen konnte, da er keinen Bart trug. Ich hatte noch nie einen Mann ohne dichten Bart gesehen. Um Mund und Oberlippe herum wuchsen lediglich ein paar dunkle Stoppeln, die verrieten, dass er sich den Bart irgendwie abschnitt. Wie schaffte er das, ihn so kurz zu halten? Dadurch wirkte er sehr jung, viel jünger als alle anderen männlichen Wesen, die ich je gesehen hatte.
I ch wollte wissen, wie groß er war und legte mich ebenso ausgestreckt wie er, mit meinen Füßen auf der gleichen Höhe wie die seinen, ganz kurz neben ihn, bereit, jederzeit aufzuspringen, sollte er aufwachen. Mit der Kante meiner rechten Hand fuhr ich von der Spitze meines Kopfes in Richtung seines Körpers und stellte erschrocken fest, dass diese auf Höhe seiner Kehle landete. Der Mann war ungeheuer groß und überragte mich um mehr als einen ganzen Kopf! Und dies, obwohl ich zu den hochgewachsensten Frauen bei uns gehörte. Nur Seratta war noch um etwa drei Fingerbreit größer als ich. Unwillkürlich war ich
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