Riskante Nächte
Hintergasse öffnete. Eine schmale Stiege reichte hinauf in tintige Dunkelheit.
Anthony schloss die Tür. »Ist jemand zu Hause?«, rief er laut genug, um auch im oberen Stock gehört zu werden. Die Stille, die ihm antwortete, war schier erstickend.
Louisa fuhr mit der Fingerspitze über die Platte des Konsoltischs. Als sie den Finger hochhielt, war ihr Handschuh leicht beschmutzt.
»Er hat eine Haushälterin, aber wie es aussieht, kommt sie nicht jeden Tag.«
»Was erklären könnte, warum sie heute nicht hier ist«, erwiderte Anthony.
Er ging in die Wohnstube und zog die Schubladen des Schreibtischs auf. Er holte einen Stapel Papiere heraus und blätterte sie flüchtig durch.
»Irgendetwas Interessantes?«, fragte sie.
»Rechnungen von seinem Schneider und anderen Lieferanten, denen er Geld schuldet.« Anthony legte die Papiere wieder in die Schublade und entnahm ihr ein kleines Notizbuch. »Thurlow ist tatsächlich ein Gewohnheitsspieler.«
»Was haben Sie da?« Sie versuchte, über seine Schulter zu spähen.
»Eine Liste von Leuten, denen er Geld schuldet.« Anthony überflog einige weitere Seiten. »Anscheinend verschuldet er sich regelmäßig und schafft es dann irgendwie, seine Gläubiger zu bezahlen.«
»Dann muss er wohl gelegentlich gewinnen.«
»Diese Aufzeichnungen reichen fast drei Jahre zurück. Einige der geschuldeten Summen sind ziemlich hoch. Mehrere tausend Pfund, in einigen Fällen.«
Anthony legte das Notizbuch wieder in die Schublade zurück.
Louisa folgte ihm durch die übrigen Räume im Erdgeschoss. Alles schien an seinem Platz. Es war, als hätte Thurlow nur wenige Augenblicke vor ihrem Eintreffen das Haus verlassen.
Sie kehrten in die Diele zurück, und Anthony stieg die Treppe hinauf. Louisa eilte ihm hinterher. Die Atmosphäre des Hauses schien ihr hier noch erdrückender.
Am Ende der Stiege blieb Anthony stehen und schaute den kurzen Flur hinab zu einer geschlossenen Tür. Louisa blieb ebenfalls stehen, und eine Gänsehaut kroch ihr über den Rücken.
»Was ist?«, fragte sie.
»Warten Sie hier«, flüsterte er. »Er könnte im Bett liegen und schlafen. Spieler sind oft die ganze Nacht unterwegs.«
Sie ignorierte seine Anweisung, aber hielt sich in respektvollem Abstand hinter ihm. Das Letzte, was sie wünschte, war, in das Zimmer eines schlafenden Mannes zu stolpern.
Anthony schien sie überhaupt nicht wahrzunehmen. Er war gänzlich auf die geschlossene Tür am Ende des Flurs konzentriert. Er klopfte. Als keine Antwort kam, drückte er die Klinke herunter. Die Tür öffnete sich mit einem lang gezogenen klagenden Seufzer der Angeln. Anthony schaute in das von schweren Vorhängen verdunkelte Zimmer und rührte sich nicht von der Stelle.
Louisas Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Sie wollte nicht näher herangehen, doch sie zwang sich, an die Tür zu treten. Der unverkennbare Geruch von Blut und Tod entströmte dem Zimmer.
»Kommen Sie nicht näher«, warnte Anthony mit tonloser Stimme.
Sie zog ein Taschentuch aus ihrem Muff und hielt es sich vor die Nase. Dann spähte sie an ihm vorbei ins Zimmer.
Ein Mann lag rücklings auf dem Bett. Die Bettdecke war um seine Taille gewickelt. Mit seinem Kopf war etwas Schreckliches passiert. Der weiße Kissenbezug aus Leinen war blutgetränkt.
Ein grausiges Bild erschien gleich einer Fata Morgana vor Louisas Augen. Genau so hatte Lord Gavin ausgesehen, als er tot auf dem Fußboden ihres Schlafzimmers gelegen hatte.
»Louisa?« Anthonys Stimme war scharf und mitleidlos. »Sie werden mir jetzt doch nicht ohnmächtig, oder?«
»Nein.« Sie nahm sich mit Mühe zusammen. »Ich werde nicht ohnmächtig.«
Der Arm des Toten war angewinkelt, bemerkte sie, und seine Hand lag dicht neben seinem Kopf. Die leblosen Finger umklammerten den Knauf eines Revolvers.
»Gütiger Gott«, hauchte sie. »Er hat sich das Leben genommen.«
Anthony ging zum Bett und nahm die Leiche genauer in Augenschein.
»Das ist interessant«, sagte er.
Louisa war schockiert von der Gefühllosigkeit seiner Stimme. Anthony klang, als mache er eine Bemerkung über das Wetter. Doch seine Züge waren hart und sein Blick eiskalt.
»Was meinen Sie?«, presste sie mühsam hervor.
»Ich frage mich, wie wahrscheinlich es ist, dass zwei von Hastings’ Handlangern im Abstand von knapp zwei. Wochen Selbstmord begehen«, sagte er.
19
Er sah, wie Louisa ihren Blick von der grausigen Szene abwandte. »Sind Sie sicher, dass Sie nicht in Ohnmacht fallen werden?«
»Ich
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