Riskante Versuchung
spät.“
„Entschuldigung“, erwiderte Kelsey zerknirscht.
„Ach, das wasche ich wieder raus. Aber jetzt geh nach oben und zieh dich um, ja?“, bat Jess sie. „Wir müssen nämlich los.“
Kelsey rannte mit der für sie typischen Geschwindigkeitsexplosion zur Verandatreppe. Sie war wie eine Miniaturrakete - entweder stand sie still, oder sie bewegte sich mit Schallgeschwindigkeit.
Jess wandte sich an Rob. „Sie sind früh zu Hause. Ich war mir sicher, wir würden schon weg sein, wenn Sie heimkommen.“
Er erkundigte sich nicht, wohin sie und Kelsey wollten. Wenn sie es sich genau überlegte, hatte er bis auf das eine Mal nie auch nur annähernd persönliche Fragen gestellt.
„Es gab eine Party im Büro“, sagte er. „Die Musik war mir zu laut, sodass ich nicht arbeiten konnte. Da dachte ich, ich könnte ebenso gut nach Hause gehen.“
Wohin wollt ihr? Er stellte die Frage nicht, doch Jess konnte sie in seinen Augen lesen. Er wollte es wissen. Warum fragte er dann nicht einfach?
„Ich hatte vor, Ihnen eine Nachricht an die Tür zu heften“, erklärte Jess trotzdem. „Ich habe einen Anruf vom Pelican Club auf Siesta Key bekommen. Der Künstler für heute Abend hat abgesagt, und man bat mich, einzuspringen. Ich muss in einer Stunde da sein.“
„Der Pelican Club.“ Rob bohrte die Schuhspitze in den Rasen und vergrub den mumifizierten Wurm unter einem Erdklumpen. „Nettes Lokal. Ich habe Sie dort schon mal spielen sehen.“
„Ich weiß“, sagte sie und beobachtete ihn dabei.
Wieder einmal schien die Luft um sie herum zu knistern. Rob senkte den Blick, sodass die sich in seinen Brillengläsern spiegelnde Sonne seine Augen verbarg.
„Möchten Sie uns begleiten?“ Die Worte waren heraus, ehe sie nachdenken konnte. Als sie sie ausgesprochen hatte, wurde ihr klar, dass sie Rob mehr oder weniger unverblümt fragte, ob er mit ihr ausgehen wollte. Deshalb ruderte sie gleich ein bisschen zurück, indem sie hinzufügte: „Doris kann heute Abend nicht babysitten, und die Kids aus der Nachbarschaft sind bei einer Tanzveranstaltung der Highschool. Also bleibt mir nichts anderes übrig, als Kelsey mitzunehmen. Sie wird sich bestimmt freuen, mit jemandem zu Abend essen zu können, während ich spiele.“ Wow, das hörte sich ja so an, als wollte sie Rob als Babysitter dabeihaben. Und das stimmte absolut nicht. „Oh, das klingt alles ganz falsch“, fuhr sie beinah verzweifelt fort. „Aber es ist schon eine Weile her, seit ich einen Mann gefragt habe, ob er mit mir ausgehen will. Sie haben bestimmt zu tun. Tut mir leid - wirklich.“
„Ich habe nichts vor.“
Sie konnte nicht erkennen, ob er sie ansah, weil die Sonne sich nach wie vor in seinen Brillengläsern spiegelte.
„Würden Sie … Wollen Sie denn mitkommen?“
Zuerst antwortete er nicht, so als erfordere diese Frage gründliches Nachdenken. Aber dann sagte er: „Ja, gern sogar.“
Jess strahlte übers ganze Gesicht, und Rob merkte, wie die unsichtbare Schutzmauer, die er um sich errichtet hatte, langsam zu bröckeln begann. Unwillkürlich musste er an den Abend eine Woche zuvor denken, als Jess‘ Exmann aufgetaucht war. Bei ihrer Unterhaltung nach dessen Besuch hatte er ihr von seinem Vater erzählt. Das konnte er immer noch nicht ganz fassen. Nie zuvor hatte er mit irgendwem darüber gesprochen. Er hatte sich sogar zwingen müssen, damit aufzuhören und zu gehen, um ihr nicht noch mehr zu erzählen. Und nun hatte er zugegeben, dass er gern mit ihr ausgehen würde. Was dachte er sich dabei? Was war nur los mit ihm?
Du liebe Zeit, er steckte wirklich in Schwierigkeiten. Er konnte sich gerade noch zurückhalten, ihre weiche, von der Sonne leicht gerötete Wange zu berühren. Sie hatte ihn einfach nur gefragt, ob er mit ihr ausgehen wollte, und er hatte wie ein Dummkopf zugesagt. Damit hatte er sie beide der unausweichlichen Hölle und dem Schmerz näher gebracht. Möge der Himmel ihnen beistehen.
„Großartig“, sagte sie. „Geben Sie mir fünf Minuten? Ich möchte mich noch umziehen. Danach können wir los. Haben Sie etwas dagegen, wenn wir Ihren Wagen nehmen? Meine Kupplung spielt wieder verrückt und …“ Sie schaute zur Auffahrt, dann zur Straße. „Wo ist eigentlich Ihr Wagen?“
„Den habe ich … jemandem geliehen“, antwortete Rob, um ihr nicht erzählen zu müssen, dass er Ian gerade erst direkt vor ihrem Haus abgefangen hatte. Der war mit der Ausrede gekommen, sich Jess‘ Auto leihen zu müssen. Rob hatte ihm
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