Riskante Versuchung
bisschen spät dran. Vielleicht nächstes Mal.“ Sie spähte zum hinteren Garten und betete im Stillen, dass Stanford nicht früher nach Hause zurückkehrte. „Okay, Kel“, rief sie und wusste selbst, dass es eilig klang. „Alles einsteigen!“
Kelsey rannte auf sie zu und blieb kurz stehen, um die Zeitung vom Rasen aufzuheben, die sie mit auf den Rücksitz des Wagens nahm.
„Wiedersehen, Mrs Greene“, meinte Jess, während sie und Rob in den Wagen stiegen. Doch Mrs Greene war schon wieder ins Haus gegangen.
Jess schaute zu Rob und startete den Motor. Er sagte nichts, lächelte nicht einmal. Doch konnte sie in seinen Augen sehen, dass ihn die Sache belustigte.
Konzentriert lenkte Jess den Wagen aus der Auffahrt, und der alte Mr Greene beobachtete sie von seinem Rollstuhl aus. Er reckte den Hals, als sie davonfuhren. „Bist du angeschnallt?“, fragte Jess ihre Tochter.
„Ja“, antwortete Kelsey. „Was heißt ‚S-e-r-i-e-n‘?“
Jess tauschte einen kurzen Blick mit Rob, der sich zum Rücksitz umdrehte. „Lass mich mal sehen, Bug.“
Kelsey reichte ihm die Zeitung nach vorn.
Jess hielt vor einem Stoppschild am Ende der Straße und schaute auf die Zeitung in Robs Händen. „Es heißt ‚Serien‘, Liebes“, sagte sie zerstreut, während sie die Schlagzeile las: „Sarasota-Serienkiller - Opfer Nummer elf“. Rasch überflog sie den Artikel. Ein weiterer Mord war geschehen, diesmal nur wenige Meilen von ihrer Gegend entfernt. Das Opfer war erneut eine junge Frau. Man hatte sie vergewaltigt und ihr die Kehle durchgeschnitten. Genau wie alle anderen Opfer war sie nackt in ihrem eigenen Zimmer gefunden worden, mit stark geschminktem Gesicht und einem drei Meter langen Seil, das um ihren linken Fußknöchel gebunden war. Welcher Mann machte so etwas? Jemand, der selbst mit permanenter Gewalt und Pein aufgewachsen war? Unwillkürlich blickte sie zu Rob und fragte sich … Nein, das war lächerlich. Oder?
„Wer sind all diese Frauen?“, wollte Kelsey wissen, die über Robs Schulter spähte.
In der Zeitung waren Fotos aller bisherigen Opfer abgedruckt. Es waren zehn … elf seit letzter Nacht.
„Mommy, die sehen dir ähnlich“, stellte Kelsey fest. „Sie sind hübsch. Ist das etwa so ein Schönheitswettbewerb?“
Jess betrachtete die Fotos genauer. Kelsey hatte recht. Die Frauen ähnelten ihr tatsächlich. Sie alle hatten dunkles Haar, und die meisten trugen es kurz geschnitten. Ihre Gesichter waren herzförmig, ihre Augen dunkel und groß …
Sie schluckte und kämpfte gegen die aufsteigende Panik an. Wie unangenehm, zu erkennen, dass man exakt dem Frauentyp entsprach, den der Mörder bevorzugte …
Schnell drehte sie sich zu Kelsey um und erklärte betont ruhig: „Jemand hat diese Frauen umgebracht, und die Polizei versucht, den Täter zu fassen.“
„Bis man ihn gefasst hat, musst du sehr vorsichtig sein, Bug“, ermahnte Rob Kelsey.
Jess legte den Gang ein und sah im Rückspiegel, wie ihre Tochter mit ernster Miene nickte.
„Du darfst dich nicht zu weit vom Haus entfernen. Und geh nirgendwo allein hin, schon gar nicht abends“, sagte Rob. „Für Jess gilt das Gleiche.“
Jess warf ihm einen irritierten Blick zu.
„Sie müssen Türen und Fenster gut verschlossen halten“, sagte er leise zu ihr. „Versprechen Sie mir, dass Sie das tun werden?“
Ich bedeute ihm etwas, dachte sie, plötzlich überglücklich trotz der schrecklichen Schlagzeile und der Tatsache, dass Rob nach wie vor ein Mysterium für sie war. „Ja, das verspreche ich.“ Sie schaute im Rückspiegel zu Kelsey, während sie in die Hauptstraße einbog und in westlicher Richtung nach Siesta Key und dem Pelican Club fuhr. „Hast du deine Stifte und deinen Block dabei?“
Kelsey kramte in ihrem Rucksack. „Hab ich.“
„Und deine Star-Trek-Puppen?“
„Hab ich.“
„Und wie steht‘s mit deinem Sticker-Buch, dem Malbuch und den Wachsmalstiften, dem großen Buch vom Monsterlabyrinth?“
„Hab ich, hab ich und … hab ich.“
„Schau bitte mal in meine Tasche, ob ich etwas vergessen habe.“
Kelsey öffnete Jess‘ Tasche und spähte hinein. „Ersatzsaiten für die Gitarre, Kapodaster, Stimmgerät, zwei Kabel“, zählte das Mädchen auf. „Stimmpfeife, Schweizer Messer und deine kleine Dose mit den Plektren.“
„Danke. Gut. Und jetzt wiederhol mal die Regeln.“
„Nicht mit dir reden, während du auf der Bühne stehst, und in der Nähe bleiben, wo du mich sehen kannst. Nicht mit Fremden
Weitere Kostenlose Bücher