Risotto Mit Otto
in den ersten Wochen und Monaten. Obwohl sie mir nach wie vor ab und zu fehlte, fühlte ich mich seit ein paar Wochen unglaublich erwachsen. Es tat gut, die Dinge auch mal selbst regeln zu müssen und nicht immer nur an mammas Rockzipfel oder babbos Hosenbund zu hängen.
Allerdings fragte meine besorgte Mutter immer noch bei jedem Gespräch als Erstes: »Kind, hast du auch was gegessen?«
»Ja, mamma «, hatte ich anfangs immer brav erwidert, doch inzwischen überging ich die Frage einfach. Ich hielt es wie die Amerikaner, die ständig »How are you?« fragen, ohne darauf eine Antwort zu erwarten.
Jedenfalls drohte mir meine Mutter nach der missglückten Heimfahrt an Weihnachten nun schon zum zweiten Mal ihren Besuch an, als sie hörte, dass ich auch über die Osterfeiertage nicht nach Hause kam. Sie hatte es sich so sehr gewünscht, aber ich musste mein Geld zusammenhalten.
Zwar war die Fondazione Francesco D’Assisi seit Jahresanfang wirklich redlich darum bemüht, das Minus auf meinem Konto durch die monatliche Überweisung von zweihundertfünfzig Euro in überschaubaren Grenzen zu halten, aber ich kam dennoch gerade so über die Runden. Nachdem meine Anstellung bei den M&Ms fehlgeschlagen war, hatte ich aus eigener Tasche nichts dazu beitragen können, die Summe abzutragen, die ich den beiden für meine ersten Monate in München schuldete. Zusammen mit dem Geld, das babbo mir schickte, konnte ich gerade mal die Nebenkosten für Jans Zimmer zahlen und meinen Lebensunterhalt bestreiten. Da ich nicht wenig Geld für Essen ausgab, vor allem den Etat für Gummibärchen hatte ich kontinuierlich erhöht, hatte ich mir seit knapp zwei Monaten nichts mehr zum Anziehen gekauft, womit ich mich meinem persönlichen Offenbarungseid annäherte.
Das war allerdings nicht die einzige Baustelle in meinem Leben. Zum einen bereicherte sich Signor Colluti immer noch am Vermögen meiner Familie, was mir nach wie vor gehörig gegen den Strich ging. Allerdings war ich so froh, dass meine Eltern immer noch nicht Lunte gerochen hatten, dass ich die Füße nach wie vor schön still hielt. Zum anderen war mein Verhältnis zu Otto seit seiner Rückkehr aus Ingolstadt mehr als merkwürdig. Er war nach wie vor sehr freundlich, verhielt sich aber ungewohnt reserviert und hatte mein Angebot, für ihn ein Willkommensessen zu veranstalten, glatt abgelehnt. Und zwar mit der fadenscheinigen Ausrede, er habe momentan ein bisschen viel um die Ohren. Dabei hatte ich all meinen italienischen Charme in Kombination mit meiner grenzenlosen Hartnäckigkeit aufgeboten, doch Otto schien mit einem Mal dagegen immun zu sein.
Meines bescheidenen Wissens nach sagten deutsche Männer allerdings immer dann, sie hätten viel um die Ohren, wenn sie vor etwas davonrennen. Zwar müsste hier eigentlich meine Theorie über die direkten und ehrlichen Deutschen greifen, aber die Männer stellen in diesem Fall eine unrühmliche Ausnahme dar. Ihre Feigheit und die Angst vor einer Konfrontation sind nämlich ungleich höher als das teutonische Bedürfnis nach Aufrichtigkeit. So viel verstand ich inzwischen von den Menschen in diesem Land, dass ich mir diese Einschätzung zutraute.
Um mich abzulenken, verabredete ich mich mit Rainer, den ich seit Semesterbeginn wieder häufiger sah, zu einer Bergtour. In der Uni lief alles glatt, und da ich diesmal zum Kreis der Eingeweihten gehörte, kam ich in jedes Seminar hinein, das ich besuchen wollte. Fast schon erschien mir der Start ins neue Semester ein bisschen langweilig, weil er gar so reibungslos und unaufgeregt vonstattenging, doch Elin meinte, ich dürfe mich ruhig einfach mal freuen.
Jedenfalls war ich sehr gespannt, als Rainer mich an einem Samstagnachmittag im April abholte, da mir nun bald ein Dreivierteljahr lang jeder von den Bergen vorgeschwärmt hatte, auch wenn ich es meist gar nicht hatte hören wollen. Rainer, offenbar passionierter Bergsteiger und Klettersteigexperte, der sich in der Kletterhalle in Taufkirchen auskannte wie ich in meiner Handtasche, hatte mir versprochen, eine eher leichte Tour auszuwählen.
»Zieh aber trotzdem mal lieber festes Schuhwerk an«, hatte er am Telefon gemeint, als wir uns verabredeten.
Daraufhin hatte ich mich für meine blauen Ballerinas entschieden, dem einzigen Paar ohne Absatz, über das ich verfügte. Da es draußen mit knapp achtzehn Grad für deutsche Verhältnisse fast schon sommerlich warm war, zog ich eine helle Caprihose und ein passendes Tanktop an und band mir
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