Risotto Mit Otto
flatternden Nerven zu beruhigen, indem ich möglichst gleichmäßig ein- und ausatmete. Die Luft in dem überfüllten Raum hätte man schneiden können, und die Anwesenden wirkten irgendwie alle angespannt. Neben mir saß eine Frau mit ihrer kleinen Tochter, die offensichtlich schon eine ganze Weile weinte, was den beiden jede Menge tadelnde Blicke der anderen Wartenden einbrachte.
Nachdem ich noch in der WG vergeblich versucht hatte, sowohl Friedrich als auch die M&Ms zu erreichen, hatte ich kurzerhand die Notrufnummer gewählt und der freundlichen Dame am anderen Ende der Leitung die Lage geschildert. Zehn Minuten später hatte der Krankenwagen vor der Tür gestanden und Andreas mitgenommen, ich war mit der U-Bahn hinterhergefahren. Damit konnte ich mir die Deutsche Semiotik für heute zwar abschminken, aber wenn der Professor, für den Rainer arbeitete, diesen Notfall nicht als Entschuldigungsgrund gelten ließ, konnte ich ihm auch nicht helfen.
Ich zog mein Handy hervor und fing an, hektisch darauf herumzutippen, aber nachdem ich mich fünfmal verschrieben hatte, beschloss ich, Vale doch anzurufen, statt ihr eine SMS zu schicken. Die grauhaarige, hagere Schwester, die gerade in den Raum kam, um den nächsten Patienten aufzurufen, warf mir einen Blick zu, als wollte sie gleich einen Mord begehen, und deutete auf das unübersehbare Schild an der Tür.
Herrje, dachte ich nur und betrachtete das durchgestrichene Handy in dem roten Kreis, die Deutschen nehmen es selbst in Notsituationen genau. Wahrscheinlich lassen sie lieber ihre Großmutter sterben, als eine der geltenden Regeln zu verletzen. Dass sie bei Rot nicht über die Ampel gehen, selbst wenn im Umkreis von einem Kilometer kein Auto zu sehen ist, wollte ich ja noch gelten lassen, aber das hier war ein Notfall. Genau das hätte ich der knapp Sechzigjährigen in Schwesterntracht am liebsten hinterhergerufen, doch ich sparte mir den Atem für das Telefonat mit Vale und ging nach draußen vor die Tür.
»Ciao, bella« , rief meine Freundin begeistert in den Hörer, als sie abgenommen hatte. »Schön, dass du mal wieder anrufst. Ich dachte schon, du wärst verschollen. Wie geht es dir? Alles klar im feindlichen Ausland? Was machen die deutschen Jungs? Liegen sie alle schön brav in deinem Bett und halten es für dich warm?« Sie kicherte, begeistert über ihren tollen Gag, mit dem sie – ohne es zu wissen – genau ins Schwarze traf.
»Hier liegt tatsächlich ein Typ im Bett. Allerdings nicht in meinem, sondern in der Notaufnahme im Krankenhaus.«
»Was? Du machst wohl Witze!« Vale stutzte kurz, dann fragte sie: »Und was hast du damit zu tun? Hast du ihn etwa ein bisschen zu deutlich in seine Schranken gewiesen?«
»Hör zu, das ist alles nicht lustig, ich stecke echt in der Klemme«, begann ich und schilderte ihr in wenigen Worten, was passiert war, während ich auf der Straße auf und ab lief. Dabei ignorierte ich ihr Gequietsche geflissentlich, als ich ihr von dem Anblick erzählte, den ich Andreas geboten hatte. »So eine dämliche Thrombose ist lebensgefährlich«, brüllte ich noch in den Hörer und starrte auf das Portemonnaie, den Schlüssel und das Handy, das mir die Ärztin vor knapp zehn Minuten in die Hand gedrückt hatte.
»Was willst du jetzt tun?«, fragte meine beste Freundin, anstatt mir zu sagen, was ich tun sollte. Wenn sie so weitermachte, dann war sie bald meine Ex-beste-Freundin.
»Die halten mich hier für seine Frau und haben mir seine Sachen gegeben. Die Operation kann zwei bis drei Stunden dauern, haben sie gesagt«, plapperte ich los. »Soll ich hier warten? Ich hab Angst. Eigentlich müsste ich dringend an die Uni, aber zu meinem Seminar komme ich sowieso nicht mehr pünktlich.«
»Natürlich musst du dableiben. Du kannst doch jetzt nicht einfach abhauen. Stell dir mal vor, der stirbt.«
»Na toll! Vielen Dank, dass du mir so viel Mut machst. Das wäre echt der Super-GAU. Erstens kenne ich ihn überhaupt nicht, und zweitens ist er Friedrichs Bruder. Der Kerl lyncht mich, wenn das hier nicht gut ausgeht.«
»Wieso rufst du diesen Friedrich nicht einfach an, damit er sich drum kümmert? Andreas ist schließlich nicht dein Bruder.« Wieder so ein kluger Vorschlag, der nicht gerade als hilfreich zu bezeichnen war.
»Was glaubst du denn? Das habe ich längst probiert. Ich erreiche ihn nicht«, blaffte ich, obwohl Vale auch nichts dafür konnte.
»Kannst du in dem Handy von diesem Andreas nicht nach der Nummer der Eltern
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