Risotto Mit Otto
mich der Situation zu stellen. Schließlich war ich kein feiger deutscher Mann und verkrümelte mich einfach.
Vorsichtig öffnete ich die Tür und spähte hinaus. Die Luft war rein. Jedenfalls stand Andreas nicht mehr im Flur rum. Schnell raffte ich meine Kleider zusammen und schlich auf Zehenspitzen in Richtung meines Zimmers. Darum bemüht, möglichst kein Geräusch von mir zu geben, hielt ich die Luft an, als ich die Türklinke runterdrückte.
»Ganz schön mutig von dir, mich einfach so stehenzulassen«, ertönte eine Stimme hinter mir.
Ich erstarrte mitten in der Bewegung, drehte mich aber nicht um. In dieses Gesicht wollte ich nie wieder blicken müssen. Das würde ich nicht überleben. »Wieso?«, murmelte ich mit gesenktem Kopf.
»Na, ich könnte auch ein Drücker sein.«
Ein Drücker? Oder hatte ich mich verhört, und er meinte einen Drucker? Mein Hirn fing an, auf Hochtouren zu arbeiten. Drücker, Drucker, was sollte das denn schon wieder sein? Ich kannte inzwischen wirklich viele deutsche Wörter und war auch vorher schon nicht ganz schlecht, aber ein Drucker mit ü für Papier war mir nicht bekannt. Egal, dachte ich, bloß nicht umdrehen, die Schmach kannst du dir nicht antun.
»Einer von diesen hartnäckigen Typen, die dir an der Haustür ihre Lebensgeschichte erzählen, weil sie dir eine miese Zeitschrift verkaufen wollen«, erklärte Andreas, als er meine Verwirrung bemerkte.
»Ach so«, sagte ich nur und fügte schnell hinzu: »Am besten, du wartest einfach in der Küche auf deinen Bruder, der kommt sicher bald zurück.« Einatmen, ausatmen. »Ich hab’s leider eilig«, sagte ich zu meiner Zimmertür, die mir geduldig zuhörte.
»Okay«, sagte Andreas in meinem Rücken verdattert, »wenn du meinst. Ich mache mir dann schon mal einen Kaffee.«
»Schön«, erwiderte ich und zog schnell die Tür hinter mir zu.
Drinnen lehnte ich mich dagegen und holte erst einmal tief Luft.
Als ich gegen halb eins die Wohnung verlassen wollte, hörte ich ein seltsames Stöhnen aus der Küche. Was war das?, fragte ich mich und blieb stehen. Ich beugte mich in Richtung Küchentür und horchte. Da, schon wieder. Es klang, als hätte Andreas große Schmerzen. Ratlos stand ich da und wägte ab: ein Mann in Not gegen meinen Stolz. Sollte ich in die Küche gehen und ihm doch noch mal gegenübertreten? Als erneut ein unterdrücktes Stöhnen erklang, erweichte mein italienisches Herz, denn ich kann niemanden leiden sehen – und schon gar nicht hören.
Als ich zur Tür hereinkam, fuhr er erschrocken herum. Von dem spöttischen Gesichtsausdruck von vor zwei Stunden war nichts mehr übrig. Vielmehr wirkte seine Miene gequält, als er mich anlächelte.
»Was ist mit dir?«, fragte ich besorgt und vergaß darüber sogar, dass ich mich vor ihm schämen wollte.
»Ach, es geht schon«, murmelte er gepresst und strafte seine Worte im selben Moment Lügen, denn er sog laut die Luft ein, ehe er sich krümmte und sich das rechte Bein hielt.
»Hast du Harakiri betrieben?«, fragte ich mit Blick auf das große Brotmesser, das mitten auf dem Küchentisch lag.
»Nein, keine Ahnung, mein Bein tut höllisch weh, als wäre ein Nerv eingeklemmt oder so.«
»Soll ich einen Arzt rufen?«, fragte ich, da ich auch nicht wusste, was ich sonst hätte tun oder sagen können.
»Nein, nein, geht schon«, wiegelte er heldenhaft ab und scherzte: »Ich muss schließlich nicht unters Messer.«
Genau dort befand er sich anderthalb Stunden später.
»Wir haben da ein Problem«, sagte die junge Ärztin in der Notaufnahme der Klinik in der Thalkirchner Straße zu mir, die der Rettungswagen mit Andreas an Bord angesteuert hatte. »Ihr Mann hat eine schwere Thrombose und muss sofort operiert werden.«
Ich dachte nicht mal daran, ihr zu erklären, dass ich Andreas heute Morgen, als ich aufgestanden war, noch nicht mal gekannt hatte, so außer mir war ich. »Was … wie …«, stammelte ich nur.
»Die Lage ist ernst, aber Sie sind zum Glück noch rechtzeitig gekommen«, versuchte sie mich zu beruhigen. »Bitte setzen Sie sich in den Wartesaal, ich schicke Ihnen gleich eine Schwester vorbei.« Nachdem sie mich noch mit ein paar Detailinformationen überfordert hatte, drückte sie mir die Habseligkeiten von Andreas in die Hand und rauschte davon.
Da saß ich nun – auf einem grauen Plastikstuhl und zugleich richtig schön tief in der Tinte. Mir ist ja auch schon lange nichts Bescheuertes mehr passiert, dachte ich und versuchte, meine
Weitere Kostenlose Bücher